Noch ist nichts entschieden. Doch ein Szenario des Schweizer Bundesamts für Verkehrs (BAV) für die Zeit nach 2035 sorgt von Interlaken bis Berlin für Irritationen. Wie die «NZZ» berichtete, denkt BAV-Direktor Peter Füglistaler (63) laut darüber nach, französische TGV und deutsche ICE nur noch bis Basel fahren zu lassen – und nicht mehr nach Zürich. Der Grund: Die vielen Verspätungen aus dem Ausland bringen in der Schweiz alles durcheinander.
Seit Jahren müssen die SBB Sonderzüge bereithalten, um verspätete ICE auf der Strecke Basel–Zürich zu ersetzen. Wer von Zürich nach Deutschland rollt, muss oft genug in Basel umsteigen. Reisestress statt Bahngenuss.
Corine Mauch (63) kritisiert das Bundesamt für Verkehr. Keine Direktverbindung mehr von Zürich nach Paris, Berlin oder München? Geht gar nicht, findet die Zürcher Stadtpräsidentin: «Für Zürich sind schnelle und direkte internationale Zugverbindungen eminent wichtig. Es braucht einen Ausbau, nicht einen Abbau der internationalen Zug-Anbindungen – gerade auch zur Erreichung der Pariser Klimaziele.»
«Rückschritt in die Provinzialität»
Der Gemeindepräsident von Interlaken, Philippe Ritschard (63), zeigt sich vom Bundesamt für Verkehr ebenfalls konsterniert: «Die direkte Verbindung von Berlin nach Interlaken ist wichtig für unsere internationalen Feriengäste. Die wollen nicht in Basel umsteigen, sondern durchfahren.» Er hält das ICE-Ausbremsen in Basel für einen «Rückschritt in die Provinzialität».
Wer mehr Menschen vom Flieger auf die Schiene bringen wolle, müsse attraktive Verbindungen ins Ausland liefern. Ritschard: «Ich setze mich dafür ein, dass Interlaken international nicht abgehängt wird. Das BAV darf sich hier nicht durchsetzen.»
Auch die deutsche Bundesregierung ist «not amused». In Berlin gilt das BAV-Szenario als heikles Thema. Denn die Verantwortung dafür liegt zweifellos bei der Deutschen Bahn. «In Sachen Schiene können wir noch viel von der Schweiz lernen», schrieb Michael Theurer (56), Deutschlands Beauftragter für den Schienenverkehr, diese Woche nach einem Treffen mit BAV-Direktor Peter Füglistaler.
Das heisst aber nicht, dass Berlin mit dem Berner Szenario einverstanden ist. Deutschland will weiterhin ICE und EC in die Schweiz schicken. «Direkte Zugverbindungen in die Schweiz sind eine wesentliche Voraussetzung für einen starken internationalen Schienenverkehr», teilt Theurer SonntagsBlick mit. «Die Fortführung ist bei allen Herausforderungen wünschenswert.»
Das Chaos bei der Deutschen Bahn sei bekannt, die Pünktlichkeit nicht zufriedenstellend. «In den nächsten Jahren muss es hier für die Kunden spürbare Fortschritte geben.»
Ende von Zürich-München?
Ein Ende der Direktverbindung Zürich–München wäre ein krasser Strategiewechsel. Im Dezember 2020 feierten SBB und DB noch die schnellere Strecke zwischen Zürich und München. Im Dezember 2021 wurde sie zusätzlich verkürzt – auf dreieinhalb Stunden. Doch die Verspätungen wurden dadurch nicht seltener.
Sollte sich das BAV-Szenario durchsetzen, wären Eurocity-Züge von München nach Zürich Geschichte – und würden nur noch bis St. Gallen rollen. Davon wäre auch die Fluggesellschaft Swiss betroffen, die täglich sechs Air-Rail-Verbindungen zwischen Zürich und München anbietet. «Es ist das gemeinsame Ziel von Swiss und SBB, dass die Verbindungen so pünktlich wie möglich sind», teilt die Fluggesellschaft mit.
Eigentlich dachten die Verantwortlichen sogar an mehr Eurocity-Züge zwischen Zürich und München. Darum sollte sich in Bern und Berlin die Fachgruppe «EC-Stundentakt Zürich–München» kümmern. Das Bundesamt für Verkehr gab ein Gutachten dafür in Auftrag. Laut BAV ist die Studie noch in Arbeit; 2026 soll sie in eine bundesrätliche Botschaft einfliessen.
Der Berliner Staatssekretär Michael Theurer betont: «Die stark nachgefragte Verbindung Zürich–München schauen wir uns genau an.»
SBB hält sich bedeckt
Und die SBB? Sie wollen es sich offenbar ungern mit ihrer Aufsichtsbehörde verscherzen, dem BAV, und teilen SonntagsBlick mit: «Zu Details des momentanen Arbeitsstandes äussert sich die SBB aktuell nicht.»
Doch SonntagsBlick hat herausgefunden, dass der BAV-Vorstoss bei einem SBB-Kadertreffen diese Woche Gesprächsthema war. Die obersten SBB-Führungskräfte seien sehr verwundert über die Vorschläge des ehemaligen SBB-Managers Peter Füglistaler, berichtet ein Insider.
Das BAV betont, es sei «noch keineswegs beschlossen, dass die internationalen Züge nur noch bis zur Grenze fahren». Obs zügig nach Zürich geht, wird frühestens in zwei Jahren entschieden.