Wir lassen im Moment keine Pornografie zu», sagt Thorberg-Direktorin Regine Schneeberger im Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Das Problem seien gefangene Sexualstraftäter: «Ich möchte mich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass wir die Leute triggern.»
Mit ihrer strengen Haltung stehen die Berner ziemlich allein da. Eine SonntagsBlick-Umfrage bei Justizvollzugsanstalten zeigt, dass der Konsum erotischer Inhalte längst nicht überall verboten ist.
Im Zürcher Gefängnis Pöschwies etwa sind Sexhefte und Softpornomagazine erlaubt, die auch an üblichen Kiosken erworben werden können. Im St. Galler Massnahmenzentrum Bitzi müssen Gefangene den Erwerb eines Erotikmagazins bei der Gefängnisleitung melden. «Wenn es sich beim Käufer nicht um einen Sexualstraftäter handelt, lassen wir das zu», so Barbara Reifler, Leiterin des Amts für Justizvollzug.
Sexfilme aus dem Katalog
Insassen der Freiburger Strafanstalt Bellechasse dürfen Sexfilme aus einem Katalog kaufen, den ihnen die Leitung zur Verfügung stellt. Ebenfalls erlaubt sind pornografische Zeitschriften, die nicht gegen das Gesetz verstossen. Ähnliche Vorschriften kennen die Strafanstalten der Kantone Aargau, Zug oder Basel-Stadt.
Im Berner Gefängnis Thorberg rechtfertigt man die strenge Praxis mit dem Gleichbehandlungsprinzip: Wenn manche dürfen und andere nicht, sorge das für Unruhe. Ausserdem stellten Sexheftli eine Geschäftsmöglichkeit für Insassen dar. Erotische Inhalte würden dann zur Hehlerware, die Abhängigkeiten schaffen könne.
Dass man sich mit dem Verbot juristisch auf heiklem Terrain bewegt, ist sich Thorberg-Direktorin Schneeberger durchaus bewusst. Im «Tages-Anzeiger» sagt sie: «Sicher kann man prüfen, ob man bei legaler Pornografie in Zukunft weitergehen kann, aber da werde ich vorher auch den Rat von forensischen Fachleuten einholen.»
Recht auf Pornos
Sexuelle Rechte sind Menschenrechte. So ist es der Website der Dachorganisation für sexuelle Gesundheit Schweiz zu entnehmen, einer Partnerin des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Gemäss diversen Studien konsumieren mehr als 90 Prozent der Männer Pornografie. Und: Neben dem Resozialisierungsauftrag muss der Justizvollzug in der Schweiz auch dem Normalitätsprinzip folgen. Das heisst: Die Vollzugsrealität muss der Realität ausserhalb so weit wie möglich entsprechen.
«Bei der Sexualität ist dieses Prinzip weitestgehend unerfüllt», sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Hochschule ZHAW. «Menschen im Strafvollzug legen ihre Sexualität vor den Gefängnismauern nicht einfach ab und nehmen sie beim Austritt dann wieder mit.» Es sei deshalb richtig und wichtig, über Sexualität hinter Gittern zu reden.
Das Thema werde in Fachkreisen kontrovers diskutiert, wendet Benjamin F. Brägger ein, der an der Uni Bern Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrecht lehrt. In der Schweiz definiere jeder Kanton die Haftbedingungen selbst: manchmal rigide, manchmal eher lasch. In geschlossenen Anstalten wie dem Thorberg werde der Sicherheitsaspekt höher gewichtet als das Normalisierungsprinzip. Das Problem sei der hohe Anteil an Sexualstraftätern. Wenn sich diese Insassen an pornografischen Materialien «aufgeilen», untergrabe das die Therapiebemühungen.
Allerdings herrsche fast überall ein Schwarzmarkt für Pornomagazine und -filme, der extrem schwierig zu kontrollieren sei, so Brägger.
Er plädiert dafür, dass Häftlinge Pornografie beziehen dürfen, die auch für Menschen in Freiheit legal ist. «Eine Tabuisierung verschiebt das Thema bloss in den Untergrund.» Von diesem Recht ausnehmen müsse man Sexualdelinquenten. Alle anderen sollten aber legale Pornografie konsumieren dürfen. Brägger: «Rauchen dürfen sie ja auch.»