Die Piazza gehört zurzeit den Möwen. Nur wenige Menschen schlendern über die Seeuferpromenade von Brissago TI. Der breite Fussweg ist frei von Stühlen und Sonnenschirmen. Die Restaurants sind in der Winterpause. Einzig der Lago Maggiore lockt auch jetzt mit atemberaubendem Panorama.
Für Fabio Branchini (64) eine gute Zeit, über seine Visionen zu sprechen. Wenn es nach dem stellvertretenden Gemeindepräsidenten von Brissago geht, soll der tiefste Flecken der Schweiz – die auf Gemeindegebiet gelegene Valmara-Mündung liegt auf lediglich 193 Meter über Meer – touristisch hoch hinaus!
«Wir wollen die Seeufer auf über zwei Kilometer verlängern», sagt er. Sie sollen dereinst vom Hafen bis zum Lido führen, vorbei an der historischen Dannemann-Zigarrenfabrik. An der kleinen Bucht vor dem Fischrestaurant Osteria Boato streckt der Tessiner die Arme aus. «An dieser Stelle könnte man den Weg in den See erweitern für eine kleine Piazza», sagt Branchini weiter, räumt aber auch gleich ein, dass das natürlich eine etwas verrückte Idee sei.
Tourismus-Studie in Auftrag gegeben
Die Anlegestege für Privatboote würden erweitert, die Pflasterung aus Naturstein fortgesetzt. «Marktstände würden sich hier gut machen», schwärmt der Lokalpolitiker weiter, «auch Bars und Boutiquen». Bern müsste dafür sorgen, dass die Schifffahrt auf dem Lago Maggiore ausgebaut werden dürfte, damit die Gäste direkt an der neuen Piazza anlegen könnten. «Brissago hat grosses Potenzial», davon ist Branchini überzeugt. Der Gästeboom in den zwei Pandemie-Sommern machen auch im Grenzort Mut.
«Wir haben im November den ehemaligen Direktor von Ticino Turismo, Elia Frapolli (38), mit einer Studie beauftragt, wie man das Tourismus-Angebot in Brissago ausbauen kann», sagt Branchini weiter. In den vergangenen Jahren haben Gourmet-Restaurants wie das Boato und das Kalea das Uferstück entdeckt. Jetzt wird noch das ehemalige Garni Graziella umgebaut und die kulinarische Meile erweitern. Branchini hofft auf noch ein grösseres Angebot.
Zigarrenproduktion würde auf jeden Fall im Sopraceneri bleiben
Und dann ist da noch der Traum vom Grand Hotel. Im Oktober 2019 schloss die Burger Söhne AG im Kanton Aargau das Event-Unternehmen Centro Dannemann in Brissago. Die Eigentümer reichten einen Bauantrag für Wohnungen im Fabrikgebäude ein. Die Gerüchteküche begann sofort zu brodeln. Brissago ist von der sogenannten «Lex Weber», dem Bundesgesetz über Zweitwohnungen eingeschränkt. Neue Ferienapartments dürfen im Grenzort nicht gebaut werden – es sei denn, sie zählen zu einem Hotel-Komplex.
Es gebe zurzeit kein relevantes Projekt, erklärt Sprecher Andreas Richner unterdessen gegenüber Blick. «Sollte eine Umnutzung des Areals realisiert werden, wäre mittel- bis langfristig eine Verlagerung der Produktion die Folge.» Die weltberühmten Zigarren würden auf jeden Fall weiter in der Region Sopraceneri hergestellt, betont Richner. Mit einem Umzug stünde der Prachtbau mit Seeanstoss und eigenem Bootssteg für einen neuen Zweck zur Verfügung. Vielleicht für ein Fünf-Sterne-Hotel?
«Konkurrenz wäre gut für Ascona»
Nicht nur in Brissago will man den Tourismus boostern. Auch in Locarno-Muralto TI hat Immo-König Stefano Artioli (60) Pläne für das Seeufer. Der Tessiner Unternehmer will das welke Grand Hotel Locarno auf Hochglanz bringen, am Lago eine Beach-Lounge eröffnen und eine grosse schwimmende Plattform aufs Wasser setzen.
Das klingt nach einer möglichen Konkurrenz für die traditionelle Piazza von Ascona TI. Die heisst Massimo «Max» Perucchi (54) allerdings durchaus willkommen. Der Asconeser Hotelier ist auch Vizepräsident von Hotelleriesuisse Ticino. «Der Wettbewerb spornt auch unsere Hotels und Restaurants an, zu investieren», sagt der Tessiner.
Fabio Branchini ist in Brissago am vorläufigen Ende seiner noch bescheidenen Seepromenade angelangt. Vom abschliessenden Geländer aus sieht man die Zigarrenfabrik im Gegenlicht der Sonne – und noch in weiter Ferne. Der Bauantrag ist auch nach zwei Jahren noch immer nicht durch in der Gemeinde. «Ich bin Politiker», sagt Fabio Branchini, «ich weiss, solche Entscheidungen brauchen Zeit.» Vielleicht Monate. Vielleicht Jahre. Aber Visionen sind ein Anfang.