Plötzlich gehts mit Faido bergauf
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Lockdown brachte Aufschwung:Plötzlich gehts mit Faido bergauf

Mehr Langzeit-Touristen, mehr Zusammenhalt, mehr Zukunftsglaube – die Tessiner Gemeinde verändert sich dank Corona zum Guten
Plötzlich gehts mit Faido bergauf

Seit über 20 Jahren ist Roland David (61) Gemeindepräsident im Leventinatal. Seine Bilanz zur Pandemie ist erfreulich: mehr Langzeit-Touristen, neue Projekte und ein toller Zusammenhalt in der grössten Not.
Publiziert: 27.03.2021 um 09:10 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2021 um 12:15 Uhr
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Luftaufnahme von Faido TI: Die Grossgemeinde erlebte mit der Gotthardbahn in der Belle Epoque eine Glanzzeit. Seit über 20 Jahren jedoch drohte dem Dorf in der Leventina zunehmend die Isolation.
Foto: www.steineggerpix.com
Myrte Müller

An den Tag X können sich die Menschen in Faido TI noch gut erinnern. «Es war der 26. Februar 2020», sagt Gemeindepräsident Roland David (61). «Unsere ambrosianische Fasnacht sollte mit der feierlichen Schlüsselübergabe beginnen, da kam die Meldung von der Polizei.» Der Karneval musste sofort gestoppt werden. Die Pandemie war ausgebrochen. So manchem Narren seien die Tränen in die Augen geschossen, so David.

Zu lachen schien es wirklich nichts mehr zu geben. Die 3000-Seelen-Gemeinde hat bereits seit Jahrzehnten mit zunehmender Isolation zu kämpfen. Viele Unternehmen und Grossbaustellen schlossen. Die Menschen wanderten ab. Und mit dem Alptransit-Tunnel wurde ein grosser Teil der Tessin-Reisenden umgeleitet – weg von der Leventina (BLICK berichtete).

Plötzlich über 500 Menschen mehr im Ort

Doch es kam anders als befürchtet. Heute zählt Faido zu den Gewinnern der Pandemie. Grund: die Corona-Flucht. «Als der harte Lockdown im März 2020 losging, erlebten wir geradezu einen Boom von Langzeit-Touristen», sagt Daniele Zanzi (55), Promoter der Gemeinde Faido. Familien mit Kindern seien in ihre Zweithäuser gezogen oder hätten solche gemietet. Auch viele Rentner kamen. «Wir hatten plötzlich über 500 Menschen mehr im Ort. Sie wollten den Lockdown lieber in der Natur verbringen als in den Ballungszentren», so Zanzi weiter. Einige seien sogar über den Sommer geblieben.

Die Gemeinde packte die Chance. «Wir haben ein neues Sportzentrum eingeweiht mit Kletterwand, Montainbike-Parcours und Pump Track», so Zanzi. «Zudem wurde ein Netz an Freiwilligen auf die Beine gestellt, die vor allem die Senioren mit Einkäufen versorgen und via Homepage über alles informieren.» Sindaco Roland David ist beeindruckt: «Jeder hat mit angepackt. Der Zusammenhalt war wirklich toll.»

Ein Berner Exil-Rentnerpaar kann die Solidarität bestätigen. «Seit 20 Jahren leben mein Mann Armin und ich im Ortsteil Rossura. Hier haben viele Zürcher und Aargauer ihren Zweitwohnsitz», sagt Ida Köhli (82). Doch: «Plötzlich durften wir wegen Corona nicht mehr aus dem Haus.» Immerhin: «Regelmässig ist dann ein netter Lehrer aus dem Ort für uns einkaufen gegangen. Das war ein Trost.» Besonders schmerzlich für die Wahltessinerin: «Wir haben unsere sechs Urgrossenkel seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen.»

Absatz von Käse verdreifacht

Für die Bauern im Tal brachte die Krise enorme Umsätze. «Mein Selfservice-Laden wirft im Lockdown doppelt so viel ab wie sonst», sagt Giorgio Falcone (40). Der Besitzer des Betriebs Truarenc hat 15 Kühe, 19 Ziegen und gut 40 Hühner. Milch, Käse und Eier kann man in einem Container holen, die Frischwaren dann übers Handy oder bar in die Kasse zahlen. Die Regale sind meist innert Stunden leer.

Auch Eva Arnoldi (34) staunt. Die Mutter von drei Kindern (2, 4 und 6 Jahre) verkauft Ziegenkäse und bietet auf dem Hof Marachiei Reitstunden sowie Pferde-Trekkings an. Über «Compro Bio» verkauft die Landwirtin ihre Produkte. Diese werden via E-Mail von den Kunden bestellt und an bestimmten Anlaufstellen der Genossenschaft abgeholt. «Der Absatz hat sich im Lockdown verdreifacht, die Zahl der Ausritte verdoppelt», sagt Eva Arnoldi.

Faido hofft auf Zukunft mit Homeoffice

Das neue Leben im Dorf könnte gar die Pandemie überdauern. Tessiner und Deutschschweizer Corona-Flüchtlinge haben das Homeoffice entdeckt. Und das geht in der Idylle des Tales wunderbar. So stellt das Elektrizitätswerk Cooperativa Elettrica di Faido (CEF) Büroräume fürs Co-Working zur Verfügung.

«Wir haben eine Bahnlinie, die direkt nach Basel führt oder auch nach Mailand», sagt Gemeindepräsident David. «Die Autobahnausfahrt ist gleich um die Ecke, und trotzdem stört der Strassenverkehr nicht.» Ausserdem sei das Internet im Tal gut ausgebaut.

Deutschschweizer Grossunternehmen investieren in Immobilien

Der Luganeser Ökonom Andrea Defanti (41) stammt aus einer alteingesessenen Familie von Faido. Ihr gehören mehrere Häuser, darunter auch eine Villa aus der Belle Epoque. 20 Wohneinheiten werden saniert und vermietet. «Ich glaube an mein Tal», sagt der Unternehmer. Er weiss: «Es bietet sehr viele Möglichkeiten. In einer Stunde ist man in Luzern, in anderthalb in Mailand. Ideal für Berufstätige, die sich ein Homeoffice in der Natur schaffen wollen.»

Defanti ist nicht der Einzige, der in Faido einen Aufschwung wittert. Zwei weitere grosse Deutschschweizer Grossunternehmen haben sich in den vergangenen Monaten mit Immobilien eingedeckt. Darunter sind auch zwei historische Hotels. Gemeindepräsident Roland David ist zufrieden: «Nach vielen Jahren geht es nun endlich wieder bergauf mit Faido!»

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