Es ist eine Katastrophe für Damiano Vivacqua (65), seine Frau (64), seine Tochter und die zwei kleinen Enkelinnen. Weil die SBB auf ihrem 8000 Quadratmeter grossen Hof in Castione TI einen Teil ihres neuen Industriewerks bauen wollen, droht der Familie die Enteignung. Der gebürtige Süditaliener muss neben Weide und Ställen auch die zwei Eigenheime der Familie, seine Tiere und Obstbäume opfern (BLICK berichtete).
Nur 23 Kilometer vom ländlichen Paradies der Familie entfernt gebe es einen idealen Standort für das geplante SBB-Industriewerk: das Gelände des ehemaligen Stahlwerks Monteforno in Bodio TI.
«Das Ex-Monteforno wäre ideal für die SBB», sagt Emilio Cristina (54), Gemeindepräsident von Personico TI. «40'000 Quadratmeter des Industriegebiets gehören bereits den Bahnen. Weitere 100'000 könnten sie sofort kaufen. Die Besitzer haben dies in einer Absichtserklärung unterzeichnet.»
Die Orte drohen auszusterben
Das Areal sei bereits ans Schienennetz angeschlossen. Bis 2023 gäbe es auch einen direkten Anschluss an die A2, erklärt Cristina. «Hier steht ein Elektrizitätswerk und es gibt ein Ausbildungszentrum für Lehrlinge der Elektromechanik. Das Industriegelände ist zudem ein Kilometer lang und etwa 100 Meter breit. Lang und schmal – genau das, was die SBB suchen. Was will man mehr?»
Personico, Bodio, Giornico TI und Pollegio TI planen eine Gemeindefusion. «So ein Projekt würde zusammenschweissen und die neue Grossgemeinde attraktiv machen», sagt Emilio Cristina. «Die Menschen verlassen unsere Ortschaften, Familien ziehen nicht mehr her. Personico muss nun wegen Mangels an Nachwuchs sogar den Kindergarten schliessen», sagt der Repräsentant der Interessengruppe. «Das neue Industriewerk würde für Arbeitsplätze sorgen und unser Tal wiederbeleben.»
Plan auf dem silbernen Tablett serviert
Wochenlang haben die Bürgermeister einen 50-seitigen Plan erarbeitet. «Den haben wir am 3. April 2018 den SBB vorgelegt. So quasi auf dem silbernen Tablett serviert», sagt Cristina. «Eine Stunde, bevor die SBB ihre Pressemitteilung am 8. Juni herausschickten, erhielt ich von ihnen einen Anruf. Sie hätten sich für Castione entschieden, hiess es. Wir sind enttäuscht!»
Hauptgrund für die Ablehnung: Das Ex-Monteforno sei zu weit vom Bahnhof Bellinzona entfernt. «Von hier nach Biasca TI sind es sechs Kilometer. Man könnte den Bahnhof dort ausbauen. Dann hätte das Tal auch Anschluss an den Alptransit», entgegnet Cristina.
Sang- und klanglos wollen die Gemeinden nicht aufgeben. «Wir haben von den SBB eine Erklärung gefordert», sagt Emilio Cristina. «Am 6. Juli gibt es ein Treffen. Doch ich fürchte, für uns ist der Zug abgefahren.»
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