Tessiner Bauer erfuhr vor dem Fernseher von der Enteignung
«Die SBB nehmen uns den Hof weg!»

20 Jahre lang hat der ehemalige Gastarbeiter Damiano Vivacqua mühevoll seinen kleinen Hof aufgebaut. Nun droht dessen Räumung, weil dort ein Industriewerk entstehen soll.
Publiziert: 12.06.2018 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 10:36 Uhr
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Damiano Vivacqua (65), Ehefrau Rosetta (64) und Nichte Lucrezia (8) bangen um ihren kleinen Hof in Castione TI.
Foto: 50 Yvonne Leonardi
Myrte Müller

Die Nachricht hat Damiano Vivacqua (65) noch immer nicht verdaut. Wenn der Tessiner Rentner und Landwirt vom SBB-Projekt erzählt, zittern seine Hände und die Augen füllen sich mit Tränen. Er schaut bang auf sein Paradies: Zwei rosa Häuser. Ein Obstgarten. Eine Weide für die zwei Pferde, fürs Pony, die zwei Kühe, 20 Schafe und Lämmer. Ställe mit vier Dutzend Hühnern und Kaninchen. Zwei Pfaue schlagen ihr Rad. Mittendrin zwei Hofhunde und drei Katzen. 

«Das alles sollen wir nun aufgeben?», fragt der gebürtige Süditaliener. «Meine Frau, meine Tochter und die beiden Enkelinnen, wir sind entsetzt und verzweifelt.»

Es ist grad eine Woche her. Die Familie sitzt vor dem Fernseher. Da berichtet der «Quotidiano» von den Plänen der SBB. Bis zum Jahre 2026 soll nördlich von Bellinzona, in Arbedo-Castione TI, auf 150'000 Quadratmetern das neue Werk für den Fahrzeugunterhalt entstehen. Den SBB gehören nur ein Teil des benötigten Geländes. Den Rest wollen sich die Bahnen über Enteignungen holen. 

«Hier wurde herzlos am Schreibtisch entschieden»

Damiano Vivacqua erkennt auf dem Lageplan des Bauprojekts auch seine 8000 Quadratmeter grosse Liegenschaft. Der ehemalige Gastarbeiter täuscht sich nicht. Tags darauf flattert ein Brief der SBB ins Haus – und stellt die Familie vor vollendete Tatsachen. Am 14. Juni würden die Betroffenen an einem Informationsabend über das weitere Vorgehen informiert.

«Das wurde herzlos am Schreibtisch beschlossen, die SBB nehmen uns einfach den Hof weg», so Damiano Vivacqua. «Hier jedenfalls hatte sich niemand blicken lassen.» Er werde um seinen Hof kämpfen, sagt er. Denn: «Ich habe jahrelang zehn Stunden am Tag auf dem Bau geschuftet, um uns dieses kleine Paradies zu schaffen. Ich habe jeden Baum hier gepflanzt. Meine Tochter ist alleinerziehend. Sie wohnt im Haus neben uns. Die Enkel brauchen die Grosseltern und die Tiere. Das kann man uns doch nicht einfach so wegnehmen. Die Vorstellung, dass Bagger bald hier alles niederreissen, bricht uns das Herz.»

SBB verweisen auf Evaluierungs-Prozess

Auf BLICK-Anfrage verweist die SBB-Medienstelle auf eine Pressemitteilung, in der für die kommenden Monate eine Übergangsphase angekündigt wird. «Der Grundsatzentscheid wurde in einem längeren Prozess sorgfältig evaluiert. Die SBB werden im Laufe dieser Woche die betroffenen Eigentümer informieren. Selbstverständlich nehmen die SBB die Anliegen und Argumente der Tessiner Bauern ernst», sagt SBB-Sprecher Reto Schärli und möchte derzeit nicht weiter in die Details gehen. 

«Ich weiss, gegen eine Enteignung können wir kleinen Leute nicht viel ausrichten», sagt Damiano Vivacqua traurig. Er hofft: «Vielleicht finden die SBB ja einen anderen Hof für uns.» Rückenwind erhält die Familie vom Tessiner Bauernverband. In einer Medienmitteilung kritisiert die Unione Contadini Ticinesi die Wahl des Standorts. Grosse Teile des Geländes bestünden aus hochwertigem Agrarland, das es zu bewahren gelte, so das Communiqué.

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