Was sich hinter der blassgelben Fassade des zweistöckigen Gebäudes im Borghetto 2 der Kirche San Lorenzo von Lugano TI über Jahre abgespielt hat, ist noch immer ein Mysterium. Am Freitag, 20. November, wird einer der emeritierten Priester, die in dem Haus der Kurie wohnen, von der Polizei abgeführt. Er soll eine Frau (48) gefangen gehalten haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Freiheitsberaubung, Nötigung, pflichtwidrige Unterlassung und sogar leichte Körperverletzung vor (BLICK berichtete).
Knapp eine Woche hockt Don Armando C.* (80) in U-Haft. Dann darf der Geistliche das Gefängnis «La Farera» verlassen. Es herrscht keine Fluchtgefahr. Elio Brunetti übernimmt die Verteidigung. Für den Anwalt steht bald fest: Sein Mandant ist kein Krimineller. «Nach Aktenlage der Ermittlungen sehe ich keine Elemente einer Straftat. Ich bin optimistisch», sagt Brunetti gegenüber dem «Corriere del Ticino».
Frau benötigte ärztliche Hilfe
Das sieht die Staatsanwältin anders. Bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung des Priesters fanden die Polizeibeamten eine verwahrloste und verdreckte Frau vor. In den Räumen stapelten sich Postpakete, viele von Zalando. Die Frau war offenbar krank und benötigte ärztliche Hilfe. Die aber habe ihr der Priester verweigert. Daher auch der Vorwurf der Körperverletzung. Auch habe Don Armando C. der Frau verboten, das Haus zu verlassen.
Auch in diesen Punkten widerspricht der Anwalt des ehemaligen Dekans der Theologischen Fakultät von Lugano. Die Skandinavierin sei nicht so krank gewesen, dass sie medizinische Hilfe gebraucht habe, und sie habe das Haus verlassen können, wann immer sie wollte. Nur habe sie es eben gar nicht gewollt.
Finnin kam schon vor 20 Jahren ins Tessin
Die Finnin reiste vor 20 Jahren ins Tessin, um in Lugano Theologie zu studieren. Einen Abschluss hat sie nie gemacht. Erst kam sie bei verschiedenen Familien unter. Dann zog sie zu Don Armando, erst in eine Mietwohnung, dann ins Borghetto. Es habe nie ein Liebesverhältnis zwischen den beiden gegeben, betont der Anwalt gegenüber dem «Corriere del Ticino». «Es war eine Beziehung des gegenseitigen Respekts.» Don Armando habe nur helfen wollen. Das habe er den Ermittlern deutlich erklärt. Nachbarn, denen die Präsenz der Frau nicht entgangen war, erzählte der Priester, sein Gast sei eine Cousine, die Hilfe und Schutz bräuchte.
Der «Gast» im Hause der Kurie sei vor allem aber vor dem Priester zu schützen, so sehen es die Tessiner Behörden. Sie brachten die Frau in eine Schutzeinrichtung der Stadt.
*Name geändert