«Dä Züri-Dialäkt vermiss ich scho», sagt Karolina Pinheiro (29), die seit einem Jahr an der Silberküste Portugals lebt. SonntagsBlick begleitete die in der Schweiz gross gewordene Portugiesin im Winter 2021, als sie in ihrer kleinen Wohnung in Zürich-Wollishofen Umzugskartons für ihren Neuanfang in der Heimat ihrer Eltern stapelte.
Ein Jahr später, im Rückblick, bereut Pinheiro ihre Entscheidung nicht: «Ich leite ein siebenköpfiges Team im Audit-Bereich, bin in 15 Minuten am Strand, und mein Bäcker weiss genau, welches Brot ich will. Und, das Wichtigste: Ich sehe meine ganze Familie regelmässig.»
Die Sehnsucht hat bei der früheren Arztsekretärin gesiegt. «Durch die Pandemie und die Reisebeschränkungen wurde mir bewusst, dass ich in der Nähe meiner Grosseltern, Cousins und Tanten leben möchte.» In ihrem Team arbeiten zwei weitere junge Portugiesen, die aus der Schweiz ausgewandert sind. «Meine Kollegin aus dem Kanton Uri hat direkt nach ihrem Lehrabschluss die Koffer gepackt.»
Das «authentische und ländliche Portugal» zeigen
Vor einem Jahr sprachen wir auch mit Gisela Santos (23). Ihre Eltern kamen in den 1980er-Jahren in die Schweiz und bauten sich eine Existenz im freiburgischen Estavayer-le-Lac auf. Sie putzte Wohnungen, er arbeitete auf dem Bau. Ihre Kinder knüpften Schulfreundschaften. Eine Existenz auf Zeit. «Das Ziel meiner Eltern war immer ein Lebensabend in Portugal.»
Seit zwei Jahren wohnt Santos mit ihnen nun im Viseu-Distrikt, 120 Kilometer von Porto entfernt, umgeben von Bergen und Flüssen. In einem Haus, in das ihre Eltern all ihre Ersparnisse gesteckt und eigenhändig erbaut haben. Santos studiert Tourismus. «Die anderen machen sich über meinen Schweizer Akzent lustig!», lacht Santos. Später möchte sie mit ihrem eigenen Unternehmen Schweizern das «authentische und ländliche Portugal» zeigen. «Gerade uns Jungen stehen hier viele Türen offen.»
Portugal war lange eine arme Nation an der europäischen Peripherie. Die Schweiz war ab den 1980er-Jahren ein klassisches Einwanderungsland für Arbeit suchende Portugiesen. Doch während die heutigen Rentner mit portugiesischem Pass hauptsächlich in der Bauwirtschaft, Gastronomie oder Reinigung arbeiteten und meist auswanderten, weil sie in der Schweiz mit ihrer Rente jeden Rappen umdrehen müssten, sieht die jüngere Generation in Portugal Zukunftschancen.
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Billige Arbeitskraft, näher als Asien
Das Land erlebt derzeit einen Wirtschaftsboom. Die Arbeitslosigkeit sinkt, und trotz hoher Rohstoff- und Energiepreise ist Portugal auf Wachstumskurs. Firmen aus ganz Europa wollen in Porto und Lissabon Standorte aufbauen oder ihre Produktionen dorthin verlegen.
Die Pandemie hat der Entwicklung einen Schub verliehen: In den letzten Jahren sind immer wieder Lieferketten nach Asien gerissen, Portugal gilt als sicherer, da es näher liegt. Auch Schweizer Unternehmen interessieren sich für Portugal. Die Post kündigte kürzlich an, dass sie nächstes Jahr ein neues Zentrum für IT-Entwicklung in Lissabon eröffnen werde. Der gelbe Riese begründet den Schritt mit dem Fachkräftemangel in der Schweiz.
Sicher ist auch: Die Portugiesen arbeiten für weniger Lohn als der Rest Europas. Zahlreiche Firmen in Portugal suchen deutschsprachige Mitarbeiter für ihren Kundensupport.
Regierung lockt Auswanderer zurück
Portugal hat auch viel investiert, um sich attraktiv zu machen. Vor zehn Jahren lancierte die Regierung das «goldene Visum», das Aufenthaltsgenehmigungen gegen Investitionen anbietet. Seit 2019 winkt das Programm «Regressar» (zurückkommen) mit einer Beteiligung an den Umsiedlungskosten und Steuergeschenken zur Rückkehr. Bedingung ist eine unbefristete Anstellung.
Es funktioniert. Dieses Jahr nahm die Anzahl der Portugiesen in der Schweiz das fünfte Jahr in Folge ab. Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik zogen 2014 rund 6000 Portugiesinnen und Portugiesen weg aus der Schweiz. 2021 waren es fast doppelt so viele.