Tatort Pausenplatz
Steigende Gewalt und Vandalismus – trotz Kameras

Ein neues Schuljahr beginnt. Doch auf den Pausenplätzen bleibt es nicht immer friedlich. Die Kriminalität an Schulen steigt, und die Gewalttäter werden immer jünger. Dabei sind Videokameras schon seit einigen Jahren ein beliebtes Mittel zur Prävention.
Publiziert: 12.08.2024 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2024 um 10:01 Uhr
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Im Dorfkern von Niederhasli ZH steht das Schulhaus Rossacker. Die Gebäude sind an den Ecken mit Videoüberwachungskameras ausgerüstet.
Foto: Pascal Scheiber
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Pascal ScheiberReporter

Im Dorfkern von Niederhasli ZH steht das Schulhaus Rossacker – direkt neben der Migros-Filiale. Eine grosse Wiese, der Sportplatz und die Turnhalle gehören dazu. Rund 840 Kinder werden hier und in den beiden anderen Schulhäusern dieser Gemeinde im Zürcher Unterland unterrichtet – und überwacht. Die Schulhäuser, ausgerüstet mit Videoüberwachungskameras an jeder Ecke, sehen aus wie Hochsicherheitszonen, aber ohne Stacheldraht und Mauer.

«Es kam hier zu vielen Sachbeschädigungen und Gewalt», erklärt Schulpräsidentin Beatrix Stüssi. «Von eingeschlagenen Scheiben bis zu Schlägereien!» Mehrere Schilder weisen auf die Videoüberwachung hin. Seit über sechs Jahren stehen sie bereits hier in Niederhasli, doch die Wirkung ist bescheiden. Stüssi: «Die Kameras sind ein Stück Prävention, aber Gewalt und Sachbeschädigungen sind deshalb nicht vom Tisch.»

Das belegen auch Zahlen der Polizei. «Es ist eine Zunahme von Delikten an Schulen zu verzeichnen», sagt Bettina Lazzarotto, Dienstchefin Jugendintervention der Kantonspolizei Zürich. Konkret: Im Jahr 2018 verzeichnete die Kantonspolizei Zürich noch 1982 Delikte an Schulen, 2023 kam es zu 2109 Delikten. Im Corona-Jahr 2020 waren es sogar über 2200 Delikte. Ob die Taten zur Schulzeit stattfanden, zeigt die Auswertung nicht.

Von Sachbeschädigung bis Körperverletzung

Die Spannweite der Deliktarten an Zürcher Schulen ist gross: Sachbeschädigung (Jahr 2023: 749 Delikte), Diebstahl (396 Delikte), Tätlichkeiten (119), Raub (18) oder einfache Körperverletzungen (65).

Gemäss dieser Auswertung der Kantonspolizei Zürich haben Tätlichkeiten oder einfache Körperverletzungen an Schulen in den vergangenen sechs Jahren um rund 60 Prozent zugenommen.

Dass die Kriminalität an Schulen zunimmt, sieht auch die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich in ihren Zahlen. Rund ein Fünftel von über 1200 Gewaltstraftaten von Minderjährigen fanden 2023 im Schulhaus oder auf dem umliegenden Schulareal statt – das sind mehr als doppelt so viele wie an Bahnhöfen.

Kriminalität an der Schule gab es schon immer, sagt Kriminologe Dirk Baier. «Die Schule ist ein Ort der Identitätsentwicklung von jungen Menschen.» Grenzen werden ausgelotet. Risikoabschätzung sei oft ein Fremdwort. Der Anstieg an Delikten sei aber nicht dramatisch, sagt Baier. Denn die Hemmschwelle vor Anzeigen liegt tiefer, und die Bevölkerungszahl ist höher als noch vor Jahren. Aber die Schulen müssen sie ernst nehmen, appelliert Baier. Ein Grund: «Die Heftigkeit der Delikte ist anders als früher», wie Polizistin Lazzarotto erklärt.

Jugendliche Gewalttäter immer jünger

Nicht nur Sekundar-, Kantons- oder Berufsschulen haben mit Kriminalität zu kämpfen. Auch Primarschulen sind damit konfrontiert. Das zeigen Zahlen der Oberjugendanwaltschaft Zürich. «Die jugendlichen Gewalttäter werden immer jünger», bestätigt Sprecherin Esther Pioppini gegenüber Blick. Vor sechs Jahren waren sie im Schnitt noch 15,7 Jahre alt. Im vergangenen Jahr betrug der Schnitt noch 15,2 Jahre.

Dass vermehrt auch 12- oder 13-Jährige kriminell und gewaltbereit sind, sei ein neues Phänomen, so Kriminologe Dirk Baier. Ein Grund für die steigende Zahl der Delikte an Schulen, aber auch für das sinkende Alter jugendlicher Gewalttäter, sei für ihn der Einfluss der digitalen Welt, des Internets und der sozialen Medien.

Fachstellen kommen an ihre Grenzen

Auch die Berner Polizei stellt eine Zunahme von Anfragen aus Schulen zu Themen wie Gewalt bis Mobbing fest. Dies zeige, dass die entsprechenden Fachstellen an ihre Grenzen kommen, sagt Sprecherin Jessica Friedli: «Das wiederum führt dazu, dass Situationen stärker als früher eskalieren und die Polizei ins Spiel kommt.» Man baue deshalb das Angebot im Bereich Prävention und Intervention für Schulen in Notfällen und Krisen aus, sagt Friedli.

Ausgebaut hat bereits die Gemeinde Lutzenberg AR – in diesem Fall das Sicherheitskonzept der Schule. Seit Juni zeichnen eine Handvoll Überwachungskameras an der Primarschule mit rund 130 Schülerinnen und Schülern das Geschehen ausserhalb der Schulzeiten auf. Der Grund sei ärgerlich, erklärt Schulpräsident Peter Müller. Die schöne Aussicht auf den Bodensee zieht Menschen abends und am Wochenende auf den Pausenplatz. Das Resultat: Feiernde hinterliessen an der Schule teils wöchentlich Sachbeschädigungen, Littering oder Sprayereien. Er hofft, dass die Kameras Wirkung zeigen. Und nicht Scherben und Schäden die Kinder heute zum Schulstart empfangen.

Kameras vermehrt im Einsatz

Videokameras an Schulen sind seit einigen Jahren ein beliebtes und günstiges Präventionshilfsmittel. Wie viele Schulen über Kameras verfügen, ist unklar. Im Gespräch mit Blick sagten Datenschutzbeauftragte einzelner Kantone, dass die Anfragen aus den Schulen zunehmen.

Dass Kameras nicht die einzige Lösung sind, wissen die Behörden. Schulsozial- oder Jugendarbeit, die auf Prävention und Dialog setzen, sei unumgänglich. In Niederhasli ist sich Schulpräsidentin Beatrix Stüssi dessen bewusst: «Wir tun alles Mögliche, doch die Stimmung ist grober als früher.» Trotz Prävention, Dialog und Kameras nimmt die Kriminalität zu. Es bleibt Ratlosigkeit – und die Hoffnung, dass der Stacheldraht nicht der nächste Schritt ist.

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