Am Dienstag sprach Marco Chiesa bei Alain Berset vor. Der Chef der SVP (46, TI) zu Besuch beim Gesundheitsminister (48, SP) – eigentlich nichts Ungewöhnliches. Schon gar nicht zu Zeiten einer Pandemie. Doch in Bern trafen zwei Politiker aufeinander, deren Positionen in dieser Krise längst nicht mehr zu vereinbaren sind.
SonntagsBlick weiss: Der Konflikt wurde zwar thematisiert, schwelt aber weiter. «Bundesrat Berset steht regelmässig im Austausch mit den unterschiedlichsten Interessenvertretern und Parteien, um deren Haltung zu erfahren», teilt Kommunikationschef Peter Lauener auf Anfrage mit.
Als Beschreibung einer Chropfleerete und des vergeblichen Versuchs, die verhärteten Fronten zwischen der Rechtspartei und der Landesregierung zu klären, ist das erstaunlich freundlich formuliert. Chiesa sagt es so: «Es war ein sehr aufrichtiges Gespräch zwischen einem Bundesrat und einem Parteipräsidenten, die nicht die gleiche Meinung haben.»
Auch dies ist eine charmante Untertreibung: Am Freitag unterstellte die SVP Bersets Bundesamt für Gesundheit (BAG) via Twitter mal eben «diktatorische Züge».
Fronten zwischen Berset und Chiesa bleiben verhärtet
Die SVP hat sich mit Haut und Haaren der Corona-Opposition verschrieben. Wenige Tage vor dem Treffen mit Chiesa griff SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42, ZG) Berset in der Gesundheitskommission frontal an. Anwesende beschrieben den Vorwurf Aeschis, der Bundesrat übergehe das Parlament, vor allem aber die Aggressivität seines Auftretens als «unterste Schublade» oder «jenseits». In der Kommission habe er Berset deutlich und klar zur Rede gestellt, meint Aeschi. «In seiner Antwort wich er meinen Fragen aber aus.»
Die Rechtspartei nutzt schon länger jede Gelegenheit, ihren Missmut über die Politik des Bundesrats deutlich zu machen. Seit der aber Mitte Januar faktisch einen zweiten Lockdwon verordnete, werden die Vorwürfe schriller. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens gingen viel zu weit, manchen Branchen werde gar das Genick gebrochen, schimpft die SVP. Der Nutzen dieser staatlichen Eingriffe hingegen sei mehr als fraglich. «Leider gibt es Tote im Leben», sagte SVP-Nationalrat Thomas Matter (54, ZH) in der SRF-«Rundschau»: «Sonst darf man gar nicht auf die Welt kommen.» Berset, forderte die SVP in einer Mitteilung, gehöre das Gesundheitsdossier entzogen. Eine gemeinsame Basis bleibt da nicht.
Was bleibt, ist der Eindruck einer Partei, die aus einer demonstrativen Anti-Haltung politisch Kapital zu schlagen versucht. Die Brachial-Kritik erstaunt nicht zuletzt deshalb, weil derzeit keine andere politische Gruppierung mehr Politiker an den staatlichen Schalthebeln sitzen hat als die SVP.
SVPler sind Hauptverantwortliche
Seit Anfang Jahr amtet Wirtschaftsminister Guy Parmelin (61) als Bundespräsident. Finanzminister ist dessen Parteikollege Ueli Maurer (70). Bei der wirtschaftlichen Bewältigung der Krise sind es diese beiden Magistraten der Rechtspartei, die Lösungen wie eine Entschädigung für wirtschaftliche Härtefälle entscheidend mitbestimmen. Auch in den Kantonen steht die Partei in der Verantwortung: Die Gesundheitsdirektoren der drei bevölkerungsreichsten Deutschschweizer Stände sind SVPler. Als nominell höchster Schweizer wiederum amtet seit Dezember Nationalratspräsident Andreas Aebi (62), ein Parlamentarier der SVP. Durch die Debatten im Ständerat führt der Schwyzer Alex Kuprecht (63), ebenfalls Mitglied der SVP.
Die stärkste Partei im Land spielt im zweiten Jahr der Krise eine entscheidende Rolle, im Guten wie im Schlechten, ob sie will oder nicht.
Momentan will sie gerade nicht. Die SVP klingt so, als ob sie rein gar nichts mit der Politik des Bundes und der Kantone zu tun hätte, in deren Exekutiven sie prominent vertreten ist. Eingeschossen hat sie sich namentlich auf den SP-Gesundheitsminister. Dass Berset während der ersten Phase der Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung zu gut wegkam, räumen inzwischen selbst manche Genossen ein. Seine rechten Kritiker indessen stellen die Lage aber so dar, als ob der Freiburger den Kurs der mehrheitlich bürgerlichen Landesregierung im Alleingang bestimmt.
Den Grund dafür sieht SVP-Fraktionschef Aeschi darin, dass Berset seine Vorschläge jeweils allzu kurzfristig vor den Treffen der Regierung einbringe: «Die Anträge des Departements Berset treffen regelmässig spät in der Nacht vor der Sitzung bei den anderen Bundesräten ein. Da bleibt kaum Zeit für Änderungen. Da spielen die Mehrheitsverhältnisse anders.»
Übermächtiger Berset degradiert Parmelin und Maurer
Forderungen der SVP nach einem Testregime an der Grenze und einem effektiven Schutz der Alters- und Pflegeheime hingegen verhallten ungehört, sagt der Zuger.
«So sind es Berset und sein BAG, die die Massnahmen prägen und dafür verantwortlich sind. Jetzt kann die Meinung vertreten werden, dass in einer Notlage keine Kritik erwünscht sei. Ich sehe das grundsätzlich anders», so Aeschi. «Die Krise dauert nun immerhin schon fast ein Jahr und es gibt weiterhin wesentliche Mängel im BAG.» Sie müssten dringend behoben, nicht erst in ein paar Jahren per Untersuchungsbericht zum Thema gemacht werden.
Mit dem Bild eines übermächtigen Berset degradieren Aeschi und Co. Parmelin und Maurer zu Randfiguren des Krisenmanagements. Deren Selbstwahrnehmung indes ist anders. Bundespräsident Parmelin sagte zum Jahreswechsel im SonntagsBlick-Interview: «Die Bundesräte sind zwar Mitglieder verschiedener Parteien, sie funktionieren aber als Team.» Diesen Satz dürfte ihm Berset wohl kaum spätnachts diktiert haben.