Oft schon war die Rede vom Kulturkampf in der Schweiz. Zwischen Mann und Frau. Progressiv und konservativ. Stadt und Land. Durch dieses Bild ziehen sich nun Risse. Das Migros-Kulturprozent hat das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) mit der repräsentativen Studie «Gemeinsam verschieden? Die grosse Schweizer Vielfaltsstudie» beauftragt. Die Resultate zeigen, wie die Studienautoren schreiben: «Die Schweiz ist ein Land des Ausgleichs und des Kompromisses.»
Die GDI-Forscher fokussierten für mehrere Befragungen auf insgesamt 4500 Menschen zwischen 16 und 80 Jahren, die in der Schweiz leben. Sie wollten von ihnen wissen, welche Gefühle es auslösen würde, wenn jemand aus einer bestimmten sozialen Gruppe in die Nachbarschaft zieht. Abgefragte Gruppen waren unter anderem: in der Stadt oder auf dem Land wohnhaft, jung, alt, arm, reich, zugehörig zu rechter Partei bzw. linker Partei, mit Asylstatus, muslimisch, christlich, trans, non-binär, homosexuell oder vegan.
Drei Gruppen werden am meisten marginalisiert
Die grosse Mehrheit der Befragten (58 bis 70 Prozent) gab an, gegenüber den anderen neutrale Gefühle zu hegen. Drei der Gruppen ziehen verhältnismässig viel an negativen Gefühlen auf sich: SVP-Anhänger (33 Prozent), Asylsuchende (32 Prozent) und Muslime (29 Prozent). Jede fünfte Person ist zudem gegenüber Trans- und non-binären Menschen negativ eingestellt. Am polarisiertesten sind die Einstellungen, wenn es um die politische Orientierung geht. Zwei Drittel der SP- oder Grünen-Sympathisierenden mögen keine rechten Nachbarn. Bei den SVP-Nahen sind es die Hälfte, die gegenüber den Linken so empfinden.
Der GDI-Forscher und Studienautor Jakub Samochowiec vermutet hinter der grossen Gruppe der Neutralen Folgendes: «Die Schweiz hat die Vielfalt bereits in ihrer DNA.» Allein wegen der vier Sprachregionen. Man sei es gewohnt, dass es nicht nur das Eigene gebe. Die meisten fühlten sich nicht gleich durch andere Lebensformen bedroht. Was dabei hilft, so Samochowiec: Der gut ausgebaute öffentliche Verkehr, der die Menschen zusammenbringt. Die Forschung zeigt, dass Begegnungen Vorurteile abbauen. Und der Finanzausgleich sowie der Föderalismus, die beide dafür sorgten, dass sich niemand abgehängt fühlt.
Soziale Medien vermitteln einen falschen Eindruck
Doch warum wirkt die Gesellschaft polarisiert, obwohl sie es nicht ist?
Samochowiec macht dies an «Aufregerthemen» fest. 2022 brach die Berner Mundart-Band Lauwarm in einem Lokal ihren Auftritt ab, weil Gäste sich «unwohl» fühlten. Der mediale Aufschrei war gross. Samochowiec sagt: «Wenig später interessierte es niemanden mehr.» In der Erinnerung bleibt der Konflikt haften. Der deutsche Soziologe Steffen Mau erklärt das Phänomen in seinem Buch «Triggerpunkte». Bei einzelnen Themen wie dem Genderstern «wird auch die wenig ideologische Mitte plötzlich emotional», sagte er einem deutschen Radiosender. Die sozialen Medien befeuerten das. Dort seien die Pole in solchen Diskussionen «überlaut». Die distanzierte und stille Mitte, die ihre Position nicht artikulieren könne, bekomme in der Öffentlichkeit wenig Gehör.