Die Nachbarn sucht man sich selten aus. Sie leben im gleichen Haus oder auf dem Grundstück nebenan und sind oft nicht mehr als flüchtige Bekannte. Besonders wenn man im städtischen Umfeld wohnt, wie das 83 Prozent tun. Wie stehts nun also um die Nachbarschaftsbeziehungen in der Schweiz? Zum ersten Mal überhaupt wirft eine Studie ein Schlaglicht darauf, mit «Hallo Nachbarn:in».
Das Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) hat im Auftrag der Migros Menschen befragt. Entstanden sind eine repräsentative Umfrage unter 1021 Menschen sowie vertiefte qualitative Interviews mit 100 Frauen und Männern. Ein Viertel von ihnen lebt in der Stadt, gut 40 Prozent in Vororten und Kleinstädten. Die meisten sind in Wohnblöcken zu Hause, nur ein Viertel in Einfamilienhäusern.
Die wichtigste Erkenntnis, so der Co-Autor der Studie, Jakub Samochowiec: «Die meisten pflegen zwar keinen innigen Kontakt zu ihren Nachbarn, vertrauen ihnen aber sehr.» Besonders, wenn es drauf ankommt, wie die Pandemie gezeigt hat. Konkret: Drei Viertel der Befragten fühlen sich dort, wo sie wohnen, sicher. Neun von zehn vertrauen den Nachbarn.
Weitere Punkte aus der Untersuchung:
Diese vier Nachbarinnen-Typen gibt es
Ständig zu einem Kaffee zusammen sitzen – das ist die Horrorvorstellung vieler in der Schweiz. Knapp die Hälfte gehört zur distanzierten Sorte, möchte weder gestört werden noch anderen zur Last fallen. Es gibt aber auch andere. Knapp ein Drittel schätzt den direkten Austausch unter Nachbarn und freut sich darüber, wenn das Quartier möglichst sozial durchmischt ist. Gibt es punktuell etwas zu organisieren, ein Fest, einen Flohmarkt, sind sie es, die Leute zusammensuchen, die mitmachen. Weitere 14 Prozent sind richtige Beziehungspflerinnen. Ihr Ideal: die Nachbarschaft als Ersatzfamilie. Und das sieht so aus: Man kennt sich, oft sehr gut, Frau Geiser weiss, dass Herr Lüthi gerne samstags ein Mittagsschläfchen hält und lässt in dieser Zeit den Rasenmäher in der Garage. Und dann gibt es noch die zehn Prozent, die bei der Wohnungssuche darauf achten, dass die Menschen im Quartier die gleichen Werte teilen – es aber schätzen, in Ruhe gelassen zu werden.
Der GDI-Forscher Samochowiec sagt: Das Vertrauen und die Zufriedenheit mit der Nachbarschaft verdankten wir unter anderem den zufälligen spontanen Begegnungen – wie jene in der Waschküche oder im Treppenhaus. Diese sind noch für etwas anderes gut: «Sind Gelegenheiten für spontane Kontakte gegeben, können auch jene Personen abgeholt werden, die distanziert sind.»
Wenns hart auf hart kommt, steht man zusammen
Die Pandemie hat uns gelehrt: Im Notfall kann man auf die Nachbarinnen und Nachbarn zählen. Man kaufte füreinander ein, hörte sich im Treppenhaus die Sorgen der anderen an. Mittlerweile ist man wieder distanzierter. Geblieben sei aber das grosse Vertrauen, sagt Samochowiec. «Dieses liefert das Potenzial für künftige schwierige Zeiten.» Und diese würden kommen, zum Beispiel in Form von Hitzewellen, wie der vergangene Monat gezeigt habe.
So fördert man gute Nachbarschaft
Über all dem sticht eine Gruppe heraus: die Senioren. Samochowiec sagt: «Ältere Menschen sind das soziale Schmiermittel von Nachbarschaften.» Sie hielten alles zusammen. Auch weil sie oft schon lange am gleichen Ort wohnten, gut vernetzt seien.
Will man die gute Nachbarschaft fördern, könnte man bei ihnen ansetzen. Und jenen, wie oben erwähnt, die gerne Leute zusammentrommeln. Samochowiec hat auch schon eine Idee, sagt: «Studien zeigen, dass man durch Gemeinschaftsgärten leicht in Kontakt kommt.»