Strenge Glaubensgemeinschaft
«Fundamentalisten halten an Körperstrafen fest»

In einer freikirchlichen Privatschule sollen Schüler geschlagen worden sein. Die Züchtigung im Namen Gottes sei von den Verantwortlichen ausgeführt worden. Zwei Experten erklären, welche Rolle Gewalt in der streng-christlichen Erziehung spielt.
Publiziert: 27.09.2023 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2023 um 01:43 Uhr
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Wie kommt es, dass in fundamentalistisch-christlichen Kreisen Gewalt in der Erziehung eine so grosse Rolle spielt? Laut Susanne Schaaf von Infosekta, der schweizerischen Fachstelle für Sektenfragen, geht es im Wesentlichen darum, welchen Blick man auf das Kind einnimmt.
Foto: Thomas Meier
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Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung – davon berichten ehemalige Schülerinnen und Schüler einer freikirchlichen Privatschule samt Internat in Kaltbrunn SG. Es habe ein Klima der Angst und der Kontrolle geherrscht, heisst es in einem SRF-Dokumentarfilm. Die Verantwortlichen sollen über Jahre hinweg Kinder im Namen Gottes gezüchtigt haben. Auch Maria H.*, die in einer strenggläubigen Gemeinschaft aufgewachsen ist, berichtet Blick, dass Gewalt in der Erziehung normal gewesen sei.

Laut Religionswissenschaftler Georg Schmid sind Berichte über Körperstrafen an der freikirchlichen Privatschule auch zur evangelischen Informationsstelle Relinfo gelangt. «Insofern erstaunen mich die Aussagen in der Dokumentation nicht», sagt Schmid zu Blick. Doch seit der Abspaltung der heutigen Schule Linth von der Gemeinschaft Kwasizabantu im Sommer 2019 habe er keine Berichte über Körperstrafen mehr erhalten.

«Wer seine Rute schont, hasst seinen Sohn»

Doch wie kommt es, dass in fundamentalistisch-christlichen Kreisen Gewalt in der Erziehung eine so grosse Rolle spielt? «Körperliche Züchtigung war früher selbstverständlich und wurde von allen für notwendig gehalten», erklärt Schmid. Dadurch seien Körperstrafen in allen früheren Erziehungsratgebern zu finden – so auch in der Bibel. Die bekannteste Stelle sei der Vers 13.24 aus dem Buch der Sprüche im Alten Testament. Dieser sei von Martin Luther so übersetzt worden: «Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.»

Doch nachdem die moderne Pädagogik ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt habe, dass körperliche Züchtigung keineswegs notwendig sei und der Kindesentwicklung schade, seien auch religiöse Gemeinschaften dazu übergegangen, von Körperstrafen in der Erziehung abzuraten. «Heute sind es nur noch fundamentalistische Gruppen am Rande des Christentums und anderer Religionen, die an Körperstrafen festhalten», sagt Schmid. «Dass sich gesellschaftliche Entwicklungen in konservativen Subkulturen erst mit einiger Verspätung zeigen, ist in der Soziologie ja bekannt.»

Gezüchtigte Kinder verlieren ihre Individualität

Laut Susanne Schaaf von Infosekta, der Fachstelle für Sektenfragen, geht es im Wesentlichen darum, welchen Blick man auf das Kind einnimmt: «In der modernen Pädagogik wird beispielsweise Ungehorsam als ein möglicher Ausdruck der Autonomieentwicklung verstanden. In einer dogmatischen Auffassung gilt Ungehorsam gegenüber den Eltern als Ungehorsam gegenüber Gott.» Sprich: «Wenn Eltern überzeugt sind, dass Ungehorsam von Gott wegführt und sogenannter Glaubensabfall zu ewiger Verdammnis führt, sehen sie je nachdem körperliche Züchtigung oder psychischen Druck als Mittel an, das Kind vor dem geistigen Tod zu retten.»

Ausserdem geht aus einer früheren Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen unter der Leitung von Christian Pfeiffer hervor: Je gläubiger die Eltern sind, desto eher schlagen sie zu. Dies geschehe aufgrund eines Missverständnisses der Traditionstexte, auf die sich die Eltern berufen.

Laut Schmid belegen Berichte von Menschen, die körperliche Züchtigung erlebt haben, wie problematisch sich diese auswirkt. «Kinder werden mit Gewalt auf Linie gebracht, sie passen sich an, ordnen sich unter, verzichten auf Ausleben ihrer Individualität», erklärt Schmid. «Wird parallel dazu gelehrt, dass jeder Ausdruck eines persönlichen Willens vom Bösen sei, kann sich ein massiv erschüttertes Selbstbild ergeben, das sich immer an andere anlehnen muss.» Der Experte weist darauf hin: «Nachhaltiger Glaube kann nicht durch Körperstrafen vermittelt werden. Die Ausstiegsrate aus Gemeinschaften, die heute noch körperlich züchtigen, ist hoch.»

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