Das sind die Gründe für die vollen Kassen bei Kantonen und Gemeinden
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Sattes Plus trotz Corona:Das sind die Gründe für die vollen Kassen bei den Kantonen

Statt Sparmassnahmen winken Steuersenkungen
Unerwarteter Geldsegen für Kantone und Gemeinden

Wegen der Corona-Krise rechnete die Gemeinde Wettingen mit tiefroten Zahlen. Am Ende gab es ein sattes Plus – wie bei fast allen Kommunen im Land. Sparmassnahmen sind damit wohl vom Tisch. Stattdessen dürften Steuersenkungen aufs Tapet kommen.
Publiziert: 03.04.2022 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 03.04.2022 um 09:11 Uhr
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Gemeindeammann Roland Kuster (62) empfängt SonntagsBlick im Rathaus aus den 50er-Jahren. Das Gebäude verrät: Wettingen ist nicht auf Rosen gebettet.
Foto: STEFAN BOHRER
Thomas Schlittler

Wettingen im Aargau zählt rund 21'000 Einwohner und ist damit fast gleich gross wie die Kantonshauptstadt Aarau. 1989 traf der örtliche Fussballklub im Uefa-Cup auf den SSC Neapel und Diego Maradona. Viel mehr wissen die meisten Schweizer nicht über das einstige Bauerndorf, das sich im vergangenen Jahrhundert zum arbeitervorort der Industriestadt Baden entwickelt hat.

Gemeindeammann Roland Kuster (62) empfängt SonntagsBlick im Rathaus aus den 50er-Jahren. Das Gebäude verrät: Wettingen ist nicht auf Rosen gebettet. Grossfirmen, die den Fiskus beglücken, fehlen. Kuster: «Wir hatten in den vergangenen Jahren intensive Diskussionen, wie wir den Schuldenberg abbauen können, der über Jahrzehnte Stück für Stück angewachsen ist.»

Unerwarteter Ertragsüberschuss von zwei Millionen Franken

Eine Steuererhöhung lehnte das Volk 2020 ab – angesichts der Corona-Pandemie musste die Gemeinde finanziell mit dem Schlimmsten rechnen. «Wegen der Prognosen des Kantons bezüglich Wirtschaft, Sozialhilfe und Gesundheitskosten budgetierten wir 2021 ein Minus von 4,4 Millionen Franken – und das, obwohl wir alle 3500 Ausgabepositionen durchgearbeitet und teilweise schmerzhafte Kürzungen beschlossen hatten.»

Gestrichen wurde zum Beispiel der Beitrag an das Kurtheater Baden, die Unterstützung zahlreicher Kultur-, Musik- und Sportvereine – und sogar das Skilager für die Wettinger Bezirksschüler.

Diese Woche nun die grosse Überraschung: ein Ertragsüberschuss von zwei Millionen Franken. «Es ist eines der besten Ergebnisse der letzten zehn Jahre», freut sich Gemeindeammann Kuster.

Schweizweit entwickeln sich die Finanzen besser als erwartet

Wettingen ist kein Einzelfall. Landauf, landab präsentieren die Säckelmeister der Kommunen dieser Tage erstaunlich erfreuliche Jahresrechnungen. Hannes Germann (65, SVP), Ständerat des Kantons Schaffhausen und Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands, sagt dazu: «In den meisten Gemeinden haben sich die Finanzen tatsächlich besser entwickelt als erwartet. Corona hat sich deutlich weniger stark ausgewirkt als befürchtet.» Möglich gemacht hätten dies in erster Linie die Unterstützungsmassnahmen des Bundes, so Germann weiter. «Die Ausweitung der Kurzarbeitsentschädigung, der Corona-Erwerbsersatz sowie die Härtefallhilfen haben dafür gesorgt, unsere Wirtschaftsstruktur aufrechtzuerhalten. Diese Massnahmen haben sich mehr als ausbezahlt.»

Corona hatte keinen negativen Effekt

Kurt Fluri (66, FDP), Nationalrat des Kantons Solothurn sowie Präsident des Schweizerischen Städteverbands weiss Ähnliches zu berichten: «Entgegen sämtlicher Erwartungen hatte Corona keinen negativen Effekt auf die Finanzen.» Das habe zwei Gründe: Auf der einen Seite seien die Steuererträge von Firmen und Privaten trotz Krise entweder gleich hoch geblieben wie 2020 oder sogar gestiegen. Auf der anderen Seite seien die Sozialausgaben deutlich unter den am wenigsten pessimistischen Szenarien geblieben.

Fluri hält es zwar für möglich, dass die Städte in den kommenden Jahren noch einige Nachwehen der Krise spüren werden. Sparprogramme seien für den Moment aber sicher vom Tisch: «Stattdessen dürften mancherorts Steuersenkungen aufs Tapet kommen», so der langjährige Stadtpräsident von Solothurn.

Auch Kantone mit erfreulichen Überschüssen

Auch eine Verwaltungsebene höher, bei den Kantonen, sprudeln die Erträge. Sämtliche 19 Stände, die ihre Staatsrechnung für das Jahr 2021 bereits veröffentlicht haben, haben deutlich besser abgeschlossen als budgetiert.

Der Kanton Aargau etwa hatte mit einem Minus von 114 Millionen Franken gerechnet. Am Ende resultierte ein Plus von 314 Millionen. St. Gallen budgetierte einen Verlust von 240 Millionen und freute sich über einen Überschuss von 160 Millionen Franken. Und der Kanton Zürich präsentierte anstelle eines Defizits von 926 Millionen Franken einen Gewinn von 758 Millionen.

Geholfen haben den Kantonen unter anderem die zusätzlichen Millionen der Nationalbank. In erster Linie aber sorgten höhere Steuereinnahmen für die satten Ertragsüberschüsse.

Unsicherheiten bleiben wegen des Ukrainekriegs

Ernst Stocker (66, SVP), Zürcher Regierungsrat und Präsident der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren, geht deshalb ebenfalls davon aus, dass die guten Abschlüsse zu weniger Steuererhöhungen und Sparanstrengungen führen werden. Er mahnt aber zur Vorsicht: «Die Unsicherheiten haben infolge des Ukrainekriegs wieder zugenommen. Die Energiepreise und die Teuerung stellen die Gemeinwesen vor Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen.»

Auch der Wettinger Gemeindeammann Kuster mag sich trotz positiven Finanzhaushalts nicht zurücklehnen. «Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Unterstützungsbeiträge für unsere Vereine und Kulturbetriebe möglichst rasch wieder fliessen», sagt er. Ansonsten drohe die Gemeinde Institutionen und Werte zu verlieren, die über Jahrzehnte hinweg aufgebaut worden seien.

Kuster: «Wir müssen den Menschen in Wettingen auch etwas bieten.»

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