Hätte die Jugend eine Krankenakte, sie wäre dick. In den letzten Wochen und Monaten erschienen zahlreiche Studien, die sich zu einem düsteren Gesamtbild zusammenfügen: Die jungen Menschen in diesem Land sind müde, angeschlagen und deprimiert. Hier ein paar konkrete Beispiele aus den repräsentativen Befragungen:
• 71 Prozent der 18- bis 24-jährigen Frauen fühlen sich erschöpft, 51 Prozent gestresst. (CSS-Gesundheitsstudie 2022, Sotomo)
• 84,5 Prozent der 18- bis 30-jährigen Frauen fühlen sich unter Druck, immer gesund und leistungsfähig sein zu müssen. (Wie geht es der Schweiz wirklich – Helsana Emotionsstudie, Sotomo)
• 56 Prozent der unter 25-jährigen Männer und Frauen fühlen sich psychisch stark oder sehr stark belastet (Wie geht's dir?»-Kampagne, GFS Bern)
• Die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel verzeichneten ab Sommer 2020 zwischen 30 und 40 Prozent mehr Anmeldungen («NZZ»).
Wieso geht es der Schweizer Jugend schlecht? Sandro Cattacin (59) weiss es. Der Soziologieprofessor von der Universität Genf kennt die jungen Erwachsenen in diesem Land so gut wie kaum ein anderer. Er ist Mitherausgeber der Eidgenössischen Jugendbefragung YASS, die 2010/11, 2014/15 und 2018/2019 durchgeführt wurde. Schon vor Corona sei in der Eidgenössischen Jugendbefragung zu beobachten gewesen, dass depressive Tendenzen unter den Jungen zunehmen. Corona habe die Situation verschlimmert. «Krisen sind Beschleuniger», sagt Cattacin. Und mit dem Ukraine-Krieg gebe es eine Krise, deren Auswirkung noch gar nicht erfasst sei. Es könnte also noch schlimmer kommen.
Doch was sagen Jugendliche selber über ihre Gefühlslage? Was beschäftigt sie? Was macht ihnen Sorgen?
Wir haben darüber mit Ainhoa (19), Yasmin (19), Louis (17) und Tim (22) geredet. Es zeigt sich ein differenzierteres Bild über die Gefühlslage. «Mich beschäftigen die Klimakrise und unser träges System», sagt etwa die Aktivistin Ainhoa. Sie ist gerade in einem Zwischenjahr und weiss nicht, was sie studieren möchte. Die gleichaltrige Yasmin hadert immer wieder mit den sozialen Medien. Louis (17) und Tim (22) hatten mit Depressionen zu kämpfen. Aber die vier versuchen auch, optimistisch zu bleiben und das Positive zu sehen.
Auch für den Soziologen Cattacin ist klar: Nicht alles ist negativ. Er sagt: «Die stark ausgebaute Schweizer Suizidprävention hatte den Effekt, dass die Selbstmorde unter Jugendlichen in der Schweiz nicht zugenommen haben, obwohl die Suizidgedanken zunahmen», das sei erfreulich.
Trotzdem sieht der Soziologe Handlungsbedarf: Es brauche mehr niederschwellige Angebote. «Für gewisse junge Menschen wären gleichaltrige Coaches hilfreicher als Psychologen», sagt Cattacin. Der Vorteil sei: Das koste nicht mal viel.
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