«Ein Pullover reichte, um mich zu mobben»
«Von meinem Vater, einem Alkoholiker, wurde ich zu Hause oft verprügelt. Um die blauen Flecken am Oberkörper nicht zeigen zu müssen, trug ich auch im Sommer lange Pullover. Das war meinen Peinigern Grund genug, mich zu mobben. Jeden Tag kamen sie aufs Neue, bis mich eines Tages eine Behörde in eine Pflegefamilie platzierte. Doch der Schaden war angerichtet, mein Selbstwertgefühl tendierte gegen null. Ich war in meinen zehn Schuljahren in etwa neun verschiedenen Schulen in verschiedenen Kantonen, etwa in fünf Pflegefamilien, einer Jugend-WG und einem Schulheim. Fast überall wurde ich gemobbt. Mit 18 Jahren hatte ich keinen wirklichen Lebenswillen mehr und verbrachte meine Zeit damit, Computerspiele zu spielen und vom Sozialamt durchgefüttert zu werden. Ich hatte schwerste Depressionen, keine sozialen Kontakte, kein Geld und keine Zukunft. Hätte mir damals jemand eine Pistole in die Hand gedrückt, hätte ich wohl meine Mitschüler umgebracht. Ich beziehe eine 100-Prozent-IV, und auch wenn es mir besser geht und die ganz dunklen Gedanken verschwunden sind, so werde ich wohl niemals ein normales Leben führen können.» Martin B.*
«Staune, wie freundlich Menschen sein können»
«Sobald du anders bist, bietest du Mobbern eine Angriffsfläche. So erging es mir in der Schule, weil ich grösser war als all die anderen Mädchen und keine Markenklamotten trug. So erging es mir als Medizinische Praxisassistentin (MPA), wo man mich wegen meiner damals beachtlichen Körperfülle offensichtlich nicht im Team haben wollte. Und so erging es mir später als diplomierte MPA, als mir meine Chefin sagte: ‹Machen Sie sich dünn, wobei das ja wohl etwas schwieriger wird.› Über zehn Jahre lang versuchte ich verzweifelt, mein Problem in den Griff zu bekommen, immer wieder gab es Handlungen und Kommentare, die auf mein Aussehen abzielten. Frustriert entschied ich mich zu einem chirurgischen Eingriff mittels Magenbypass. Mittlerweile bin ich rund 60 Kilogramm leichter und staune doch sehr, wie freundlich die Menschen sein können. Selbst jene, die gemobbt haben und mich nun nicht mehr erkennen. Diese Leute interessieren mich aber überhaupt nicht mehr.» Annika Mani (33) aus Zollikofen BE
«Ja, sie haben uns verprügelt. Aber sie haben uns auch stark gemacht»
«Bis heute habe ich sie nicht vergessen. Die Schläge. Die Spuckaktionen. Die Verleumdungen. Die Lehrer, die sagten, dass ich es nie zu etwas bringen würde. Die Angst vor dem Schulweg und – noch schlimmer – der Weg nach Hause. Je länger, je mehr zog ich mich zurück. Ein Mechanismus, der auch heute noch existiert. Nach Jahrzehnten. Die Erlösung kam erst in der Lehre, als ich neue Mitschüler hatte. Begonnen hat alles in der ersten Klasse, weil ich besser zeichnen konnte als andere. Es gibt Leute, die sich unterdessen entschuldigt haben. Aber die vorhandenen Wunden sind tief, und Hilflosigkeit, Einsamkeit und Traurigkeit werden immer meine Begleiter sein. Anderen Mobbing-Opfern sage ich: Lebt euer Leben! Es gibt gute Menschen. Ja, sie haben uns verprügelt. Aber sie haben uns auch stark gemacht!» Maja Schams (47) aus Kreuzlingen TG
«Dann flogen die auch mal über die Tische, so gross war mein Frust»
«Meine Geschichte liest sich wohl so wie die vieler Opfer: Ich wurde während meiner Schulzeit stets ausgeschlossen, als Letzter gewählt, gehänselt. Weil ich zu lieb war. Ich war grösser und stärker als fast alle in meinem Umfeld, aber eingesetzt habe ich meine Kraft eigentlich nie. Wenn, dann sind die anderen auch mal über die Tische geflogen, so gross war mein Frust. Ich dachte, nach der Schule wäre das alles vorbei, doch im Job gings weiter. Bei meinem ehemaligen Arbeitgeber konnte ich es meinem Chef nie recht machen. Egal, was ich tat, er sah nur Fehler. Beschwerden halfen nichts, sein Boss schützte ihn. Ich war so verzweifelt, dass ich vor sechs Jahren an Selbstmord dachte. Das war der Tiefpunkt. Mehr als zwei Jahrzehnte lang wurde ich gemobbt. Ich konnte einfach nicht mehr. Doch dann habe ich Bodyboarden entdeckt. Der Sport hat mich gerettet. Manchmal muss ich immer noch Dinge von früher aufarbeiten. Aber es ist kein Vergleich mit früher.» Marco Weibel (36), Niederlenz AG
«Je länger ich in der Klasse war, desto häufiger fehlte ich im Unterricht»
«Als ich in eine neue Schule in Zollikofen BE kam, kamen auch die Mobber. Das war in der 4. Klasse. Von Beginn weg wurde ich beleidigt, man zeigte mit dem Finger auf mich. Denn sie trugen Gucci, ich H&M. Als mir einmal mein Götti einen schönen neuen Pulli schenkte und ich den stolz in der Schule trug, hatte ein anderes Mädchen zufällig denselben erhalten. Nun galt ich als Nachmacherin. Alles wurde noch schlimmer. Die Folge: Je länger ich in der Klasse war, desto häufiger fehlte ich im Unterricht. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Im 8. Schuljahr habe ich glücklicherweise noch einmal gewechselt. Meine alten Klassenkameradinnen haben versucht, mich bei den neuen Mitschülern schlechtzumachen, sind aber gescheitert. Ab da wurde es besser. Später ging ich in Therapie und kann heute sagen, dass es mir gut geht. Aber an Klassentreffen werde ich nie gehen.» Mirjam F. (29)*
«So ausgeschlossen zu werden, tut weh»
In meinen Zwanzigern habe ich in einer Bank gearbeitet. Dort habe ich auf oft subtile Art und Weise mit Mobbing Bekanntschaft gemacht. Mir ist immer wieder gesagt worden, dass ich nichts tauge. Ich sei wenig bis gar nichts wert in dieser Firma, hiess es auch. Das ging so weit, dass ich wenig Lohn bekommen habe und offiziell von Firmen-Events ausgeladen wurde. Ich weiss, dass eine Bank nicht der empathischste Arbeitgeber ist. Doch so offensichtlich ausgeschlossen zu werden, tut weh. Thomas S.* (57) aus Zürich ZH
«Manche Menschen werden wie Abfall behandelt»
Ich wurde in meiner Schulzeit gemobbt, weil ich die Autoimmun-Erkrankung Diabetes Typ 1 hatte. Die Schüler prügelten auf mich ein. Regelmässig gab es Schläge in die Brust, in die Arme und in den Bauch. Ganz schlimm war es im Kochunterricht. Als ich dann mal etwas sagte, hat mich die Jugendsozialarbeiterin als ‹depressiv und nicht intelligent› eingestuft. Später wurde ich mit dem genauen Gegenteil diagnostiziert: ‹hochbegabt und hochsensibel›. All das Leiden führte dazu, dass ich keinen Schulabschluss machen konnte und bis heute keinen Job habe. Es ist gemein, dass manche Menschen wie Abfall behandelt werden! Sven Hofmeier (34) aus Dornach SO
«Der Lehrer hängte mein Nacktbild an die Wandtafel»
«Mein Vater flüchtete aus der Tschechoslowakei in die Schweiz. Somit war ich ein Flüchtlingskind und keine richtige Schweizerin. In der Mittelstufe fing es dann mit Mobbing an. Mitschüler plagten mich immer wieder. Von Beleidigungen über körperliche Demütigung bis hin zu sexueller Nötigung. Auch der Lehrer machte mit. Einmal gingen wir ins Klassenlager. Dort fotografierten mich zwei Schülerinnen oben ohne in der Dusche. Der Lehrer hängte nach dem Lager das Bild an die Wandtafel und sagte, man könne das Foto nachbestellen. Als ich in eine höhere Klasse kam, sagte er mir zum Abschied: ‹Aus dir wird mal eine gute Putzfrau.› Es nagte lange an mir, doch heute kann ich sagen, dass es mir viel besser geht. Ich konnte damit abschliessen, als ich mit einem Abschluss in Medizin aus der Universität gelaufen bin und meinem alten Horror-Lehrer das Diplom zuschickte. Ich bin jetzt keine gute Putzfrau, sondern eine gute Ärztin.» Doris M.* aus dem Kanton Aargau
«Mit Mobbing werden Leben zerstört»
«Da ich beim Laufen nach innen einknicke, bewege ich mich nicht wie die meisten anderen. In der Schule wurde ich deshalb gehänselt, bedroht, verprügelt. Sogar gewürgt wurde ich. Die Lehrer in Davos GR schauten einfach weg! Fünf Jahre lang! Bis ich einmal mit Würgeabdrücken am Hals nach Hause kam. Da ging mein Vater zur Polizei. Als diese in die Schule kam und den Schülern mit Anzeigen drohte, war plötzlich alles vorbei. Von da an wurde ich nicht mehr angefasst. Die Schulleitung meinte zwar, die Polizeiaktion sei nun wirklich nicht nötig gewesen, aber ich bin überzeugt: Wäre sie nicht gekommen, das Mobbing hätte nie mehr aufgehört. Noch heute leide ich an gewissen Ängsten. Ich bin traumatisiert. Zum Glück habe ich einen guten Betrieb gefunden, der mich so akzeptiert, wie ich bin. Menschen können grausam sein und sind sich nicht bewusst, dass sie mit Mobbing Leben zerstören können.»
Michael Hobi (34) aus Klosters GR
*Namen geändert