Sängerin Sina über ihre Schicksalsschläge, ihr grösstes Glück und ihre verliebtesten Fans
«Ich laufe auf der Sonnenseite»

Sina ist seit fast 30 Jahren eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Schweiz. Im BLICK-Interview spricht die Walliserin über ihre bewegte Kindheit in den Rebbergen, den frühen Tod ihrer Mutter und die enge Beziehung zu ihrem Gottenmeitli.
Publiziert: 31.10.2019 um 22:45 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2019 um 16:33 Uhr
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Sina in ihrem Rebberg am Hang von Salgesch VS.
Foto: Patricia Broder
Interview: Patricia Broder

Die Augen von Ursula Bellwald (53), wie Mundartsängerin Sina mit bürgerlichem Namen heisst, strahlen, als wir dem Pfynwald entlangfahren, einer der grössten Föhrenwälder der Alpen, der sich zwischen Leuk VS und Siders VS erstreckt. Im Hintergrund leuchten die Rebberge von Salgesch in der Mittagssonne. Sina hält inne, atmet tief ein und wieder aus, dann sagt sie, hier könne sie endlich wieder «durchschnüüfu».

BLICK: Sina, hier in Salgesch sind wir an Ihrem Herzensort.
Sina: Das kann man sagen, neben dem Lötschental und Gampel VS ist das mein Zuhause. Ich wurde sehr geprägt von diesem Wald und den Rebbergen. Wenn ich diese Erde schmecke und die Trauben in der Hand habe, katapultiert mich das sofort zurück in meine Kindheit, als mein Bruder und ich durch die Rebstöcke rannten und Traubenbeeren aufsammelten.

Was viele nicht wissen: Der eine Rebberg hier gehört Ihnen.
Ja, meine Mutter hat ihn mir und meinem Bruder Daniel nach ihrem Tod vererbt. Ein wertvolles Vermächtnis, hier erinnern wir uns an sie.

Sie machen also auch selber Wein?
Die Zeiten in denen ich als Kind beim Wimden der Trauben half, sind vorbei (lacht). Heute kümmert sich unser Kellermeister Jürg Biber mit viel Geduld und Know-how um unsere Reben. Er produziert mit unseren Trauben rund 3000 Flaschen Syrah pro Jahr. Ein Teil des Gewinns von etwa 1000 Franken geht zurück in den Wein und wir verschenken ihn an Familie und Freunde. Zudem gehen mein Bruder und ich einmal im Jahr fein essen, in Erinnerung an unsere Mutter.

Waren Ihre Mutter und Ihre beiden Tanten zeitlebens Rebbäuerinnen?
Ja, alle Mädchen arbeiteten in den Reben mit. Ich erinnere mich an lange Nachmittage im Rebberg. Zum Zvieri brachte meine Grossmutter dann immer Wurst, Brot und Tee und abends kochte sie für alle. Ihr Reisgericht war legendär und ist bis heute unübertroffen. Von diesen starken und stolzen Frauen bin ich sehr geprägt worden.

Sie waren sechs Jahre alt, als Ihre Mutter starb. Zwei Jahre danach wurde Ihre Grossmutter Emma, der Sie auch ihr aktuelles Album widmen, schwer depressiv. Wie sind Sie damit umgegangen?
Es war eine schwierige Zeit. Meine Grossmutter blieb sieben Jahre lang im Bett liegen und ist nicht mehr aufgestanden. Ich erinnere mich, wie wir Kinder ihr Würfelzucker mit Klosterfrau Melissengeist brachten, um sie zu beruhigen. Ich glaube fest, es waren die Dämonen aus ihrer Jugend, die sie eingeholt haben.

Wie hat dieser Doppelverlust Ihr Leben geprägt?
Ich habe bis heute grosse Mühe loszulassen. Von Menschen, die mir viel bedeuten, verabschiede ich mich immer sehr bewusst. Weil ich schon als Kind lernen musste, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Auch heute noch warte ich, wenn mein Mann sich am Bahnsteig verabschiedet, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden ist.

Waren diese Schicksalsschläge auch Antrieb für Ihre Musik?
Ja, es ist wahnsinnig befreiend, begleitet von vier Griffen an der Gitarre, sein Glück und seine Verzweiflung in die Welt zu schmettern. Ich habe immer noch eine Schachtel voller Kassetten in meinem Keller mit Songs, die ich als 18-Jährige in einem Pseudoenglisch aufgenommen habe. Dass ich diesen Kindheitswunsch, Sängerin zu werden, verwirklichen konnte, ist für mich ein grosses Glück.

Sie haben dieses Jahr den Swiss Music Award für Ihr Lebenswerk erhalten – sind Sie zufrieden mit Ihrem bisherigen Leben?
Ja. Ich lief und laufe immer noch vor allem auf der Sonnenseite. Angefangen in den Walliser Rebbergen, durch Städte bis zum Hallwilersee, wo ich heute wohne. Musikalisch bin ich an verschiedenen Fronten unterwegs und habe nicht vor, das zu ändern. Und wenn es morgen fertig wäre, würde ich nichts bereuen, weil ich bis heute die Freiheit habe, mein eigenes Ding zu machen.

Familie ist Ihnen wichtig und Sie hätten auch selber gerne eine eigene Familie gegründet. Sind Sie es leid, darauf angesprochen zu werden?
Nein, die Zeiten sind vorbei. Ich habe nie verstanden, warum man als Frau nicht ganz sein soll, wenn man nicht Mutter ist – ob selbst gewählt oder nicht. Ich hätte gerne Kinder gehabt, aber es hat nicht sollen sein. Das habe ich akzeptiert und mich auf die Musik konzentriert.

Sie haben eine enge Beziehung zu Ihrem Gottenmeitli Elina.
Ja, sie ist die Tochter meiner Schwester Monique. Wir haben gerade ihren siebten Geburtstag gefeiert. Nachdem wir am Gottitag zusammen im Wald Baum-Gesichter fotografiert hatten, wünschte sie sich eine Kamera von mir – in Pink, versteht sich.

Sie wirken heute so frisch wie zu Beginn Ihrer Karriere. Haben Sie ein Schönheitsritual?
Ich liebe das Wasser und versuche, jeden Tag im Hallwilersee zu schwimmen, solange das Wasser mindestens 14 Grad warm ist. Ich starte bewusster in den Tag, wenn ich zuerst eine Runde im See war. Zudem schütze ich meine Haut vor der Sonne und liebe es zu schlafen. Gerne auch mal zehn Stunden lang.

Sie haben sich als Frau knapp 30 Jahre lang in einer von Männern dominierten Branche behauptet – gab es auch unangenehme Momente?
Als junge Sängerin war das schon manchmal der Fall. Ich erinnere mich an einen Produzenten in Deutschland, der mich im Studio begrapschte und mir später im Hotel auf mein Zimmer gefolgt ist. Ich habe mich eingeschlossen und war froh, am nächsten Tag abzureisen. Das waren aber Einzelfälle, ich arbeite seit Jahren fast ausschliesslich mit Männern, und die haben sich immer sehr respektvoll und fair verhalten.

Die meisten Liebesbriefe sollen Sie nicht als Sängerin, sondern in Ihrer Zeit als Radiomoderatorin erhalten haben. Stimmt das?
Ja (lacht)! Ich moderierte vor allem in der Nacht, da ist man den Hörern besonders nahe und meine eher tiefe Stimme wirkte da wohl noch mehr. Da gab es schon mal Post von Verehrern. Mein Song «Stimme um Mitternacht» handelt von einem solchen Fan, der jeden Abend ein Radio-Date mit mir hatte. Er machte sich frisch, goss sich ein Glas Wein ein und hörte mir dann eine Stunde lang zu.

Neben Radio und Musik schlägt Ihr Herz neu auch fürs Malen.
Das hat sich ergeben, als ich vor drei Jahren einen Malkurs machte. Mit der Malerei hat sich mir eine komplett neue Welt geöffnet, in der ich nichts muss, aber einfach loslegen kann. Kürzlich habe ich allerdings zugesagt, nächstes Jahr an einer Ausstellung in Bern mitzumachen, in der Musiker und Musikerinnen ihre Bilder zeigen. Jetzt muss ich halt doch ein bisschen Gas geben.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube an Energien, die bleiben. Aber an ein Leben nach dem Tod glaube ich nicht. Deshalb versuche ich, diese eine Runde auszukosten, mit allem, was mir lieb und wichtig ist.

Wie blicken Sie in die Zukunft – wird Sina auch in 20 Jahren noch auf der Bühne stehen?
Ich denke noch lange nicht ans Aufhören. Ich habe ja erst angefangen (lacht). Im Moment bin ich auf Tour und plane nächstes Jahr ein Trioprogramm. Manchmal frage ich mich, wie gut ich in Zukunft mit der Unsicherheit im Musikerberuf umgehen kann. Und was mich sonst noch reizen würde. Freiwillig hänge ich mein Mikrofon noch nicht so schnell an den Nagel. Aber mit 90 noch auf der Bühne stehen, will ich auch nicht – ob mit oder ohne Rollator.

Von der Moderatorin zur Sängerin

Sina wurde als Ursula Bellwald am 28. Mai 1966 in Visp VS geboren. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete von 1993 bis 1996 als Radiomoderatorin beim Schweizer Radio DRS. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Mundart-Album «Sina», das Platinstatus erreichte. 2019 wurde sie mit dem Swiss Music Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sina lebt mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Kühne, im Kanton Aargau am Hallwilersee.

Sina wurde als Ursula Bellwald am 28. Mai 1966 in Visp VS geboren. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete von 1993 bis 1996 als Radiomoderatorin beim Schweizer Radio DRS. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Mundart-Album «Sina», das Platinstatus erreichte. 2019 wurde sie mit dem Swiss Music Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sina lebt mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Kühne, im Kanton Aargau am Hallwilersee.

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