Es war Ende Sommer 2018, als der Jugendwissenschaftler und Nachhaltigkeitsforscher David Fopp in der Zeitung von einer jungen Aktivistin las, die vor dem schwedischen Parlament sass und fürs Klima streikte. Der gebürtige St.Galler, der in Stockholm lebt und selbst seit Jahren Klimaaktivist ist, entschloss sich, die junge Frau kennenzulernen – und ihr zuzuhören. Mittlerweile hat er ein Buch darüber geschrieben, wie aus dem Stockholmer Schulstreik eine globale Klimabewegung wurde. Damals kannte noch niemand den Namen der Aktivistin – heute ist er jedem Kind ein Begriff: Die junge Frau vor dem Parlament war Greta Thunberg (18).
SonttagsBlick: David Fopp, wie war Ihr erstes Treffen mit Greta?
David Fopp: Erstaunlich. Ich spürte bei ihr und den anderen Schülerinnen, die sich ihr sehr früh anschlossen, eine grosse Verzweiflung und Trauer und merkte gleichzeitig, dass sie sich nicht zurückziehen, sondern aktiv werden und vorausgehen. Ich war beeindruckt von ihrem Wissen im Bereich der Klimawissenschaften. Greta hatte von Beginn an ein Papier dabei, auf dem sie die wichtigsten Daten zur Klimaerwärmung zusammengefasst hatte.
Die Begegnung berührte Sie.
So ging es vielen, die beim Münzplatz vorbeigingen, wo die Schülerinnen streiken. Wir sahen Kinder und Jugendliche, die sich getrauen, für ihre Generation einzustehen und uns Erwachsenen zu sagen: So geht es nicht weiter. Gleichzeitig fühlte ich mich auch schuldig – und verpflichtet, etwas zu tun.
Von diesem Tag an waren Sie immer wieder vor Ort.
Es fühlte sich einfach nicht richtig an weiterzumachen, als ob nichts wäre, während die Jugendlichen jede Woche dort sitzen und damit ein enormes Risiko in Kauf nehmen.
Und Sie wurden auch selbst aktiv.
Ja, ich habe die Scientists for Future in Schweden gegründet.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie die Jugendlichen Freitag für Freitag streikten – und nichts passierte.
Zehn Wochen lang kamen immer wieder dieselben sechs, sieben Jugendlichen auf den Platz. Aber es hat bis zur Klimakonferenz im polnischen Kattowitz im Dezember 2018 gebraucht, bis ein grosser Streik stattgefunden hat. Die Schülerinnen waren dann selbst überrascht von der Dynamik, die das Ganze ab da annahm. Sie merkten plötzlich: Wir sind ja eine Bewegung. Im Dezember sind auch internationale Chats entstanden.
Damals lernten die schwedischen Aktivistinnen jene aus der Schweiz kennen.
Genau. Sie haben zum Beispiel gemeinsam ein Treffen bei der EU organisiert. Die Schwedinnen waren übrigens sehr beeindruckt von den Schweizer Aktivisten.
Warum?
Es imponierte ihnen, wie schnell sie sich organisierten sowie nationale Versammlungen und einen grossen Streik auf die Beine stellten. Ausserdem nahmen die Schweizer von Anfang an eine aktive Rolle in der globalen Zusammenarbeit ein.
2020 wollten die Jugendlichen richtig durchstarten. Dann kam die Pandemie. Bräuchte es aktuell die öffentliche Präsenz einer Leitfigur wie Greta nicht mehr denn je?
Greta war es extrem wichtig, dass man die Corona-Krise ernst nimmt und nichts riskiert. Aber sie und die anderen waren sehr aktiv, auch wenn man das vielleicht nicht sieht. Sie organisieren zum Beispiel gerade Gratiskonzerte, mit denen sie andere Jugendliche erreichen möchten. Es dauert jetzt natürlich eine Weile, bis die Streiks wieder in Gang kommen. Aber man kann Grosses erwarten.
Dann hat die Pandemie der Bewegung nicht geschadet?
Ich habe eher das Gefühl, viele Bereiche der Bewegung sind sogar stärker geworden. Was mir auch imponiert und die meisten Leute gar nicht verstehen, ist, wie global sich die Jugendlichen vernetzt haben. Sie reden vier, fünf Stunden am Tag mit Gleichaltrigen aus Brasilien, Bangladesch oder den Philippinen und erfahren so auch, welche Folgen die Erderwärmung schon heute hat – zum Beispiel durch Überschwemmungen. Dieser internationale Austausch hat auch dazu geführt, dass bei den nächsten grossen Streiks die Leute in Bangladesch, Brasilien und Co. die Leitung übernehmen werden.
Im Buch illustrieren Sie die Visionen der Klimabewegung: Innert 15 Jahren soll eine Gesellschaft aufgebaut sein, die für die Bedürfnisse aller sorgt – mit einer regenerativen, vor allem veganen Landwirtschaft, einem fossilfreien Transportsystem, einem erneuerbaren Energiesystem und einer Wirtschaft, die sich im Rahmen der planetaren Grenzen hält. Dieser Wandel soll sozial und demokratisch ablaufen. Ist das nicht utopisch?
Es ist vor allem notwendig. Und die Welt bewegt sich ja bereits in diese Richtung. Ein riesiger Schritt ist zum Beispiel das Urteil des deutschen Verfassungsgerichts, das festhielt, dass die Politik so gestaltet werden muss, dass Kinder und Jugendliche eine gute Zukunft haben. Oder dass die Internationale Energieagentur dafür plädiert, das Ende der fossilen Energiegewinnung sofort einzuleiten. Vor fünf, sechs Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen.
In der Schweiz stimmen wir mit de m CO₂-Ge setz in Kürze über mehr Klimaschutz ab – es wird ein knappes Rennen. Wie also soll auf demokratischem Weg ein solcher Wandel stattfinden, wenn die Leute ihn nicht wollen?
Solche Entscheide sind auch immer von Informationen beeinflusst. Wichtig ist, dass die Menschen verstehen, dass wir uns in einer Krise befinden – das sagt auch Greta immer wieder. Es ist zentral und die Aufgabe von Wissenschaftlern, Medien und Politikerinnen, die Erkenntnisse der Klimawissenschaft so zu verbreiten, dass die Bevölkerung versteht, wie ernst die Lage ist. Und dann sollte die Politik den Wandel auch nicht so defensiv angehen und vor allem von Verboten sprechen.
Sondern?
Man müsste sagen: Wir packen jetzt als Gesellschaft die Veränderung an, damit wir am Ende eine gerechte Form des Zusammenlebens auf einem intakten Planeten haben. Ich glaube, dann sind die Leute auch bereit, auf gewisse Dinge zu verzichten – weil sie Teil eines unglaublich wichtigen Projekts sind.
David Fopp (48) wurde in St. Gallen geboren und wuchs in Schweden und der Schweiz auf. Der promovierte Philosoph lehrt Pädagogik und Youth Studies an der Stockholmer Universität und forscht zu Nachhaltigkeit und Theorien der Gesellschaftstransformation. Im Januar erschien sein Buch «Gemeinsam für die Zukunft – Fridays for Future und Scientists for Future», das er zusammen mit den Klimaaktivistinnen Loukina Tille und Isabelle Axelsson schrieb.
David Fopp (48) wurde in St. Gallen geboren und wuchs in Schweden und der Schweiz auf. Der promovierte Philosoph lehrt Pädagogik und Youth Studies an der Stockholmer Universität und forscht zu Nachhaltigkeit und Theorien der Gesellschaftstransformation. Im Januar erschien sein Buch «Gemeinsam für die Zukunft – Fridays for Future und Scientists for Future», das er zusammen mit den Klimaaktivistinnen Loukina Tille und Isabelle Axelsson schrieb.