Es ist das Jahr 2034. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel muss sich vor dem Internationalen Gerichtshof verteidigen. Verhandelt wird die Sammelklage von 31 Ländern des globalen Südens gegen Klimasünder Deutschland. Der Vorsitzende eröffnet das Verfahren: «Lassen sich tatsächlich aus den Menschenrechten Pflichten für die Staaten hinsichtlich des Umgangs mit dem Klimawandel ableiten? Die Bundesrepublik verneint dies.»
So beginnt ein ARD-Spielfilm von 2020. Bald könnte der Science-Fiction-Stoff Realität werden.
Vergangene Woche fällte das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein revolutionäres Urteil. Am Donnerstagmorgen gaben die obersten deutschen Richter mehreren Umweltverbänden und Fridays for Future teilweise recht, die gegen die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung Verfassungsbeschwerde eingereicht hatten.
Urteil zwingt Berlin zu konsequenterem Klimagesetz
Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch die Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt, erklärten die Richter in ihrer Begründung. «Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.» Einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Massnahmen machbar – zulasten der jungen Generation.
Im Klartext: Deutschlands aktuelles Klimagesetz genügt nicht, um die Grundrechte künftiger Generationen zu sichern. Die Regierung muss nachbessern. Konsequenter Klimaschutz ist keine unverbindliche Möglichkeit mehr, sondern Pflicht qua Amt.
«Das ist riesig!», freute sich Klimaaktivistin Luisa Neubauer (25), die als Beschwerdeführerin bei der Klage mitgewirkt hat. «Wir sehen überall auf der Welt unvollständige Ziele und unzureichende Massnahmen. Nach und nach wird das aufgedeckt», kommentierte Greta Thunberg (18) den Entscheid.
Auch die Schweizer Klimajugend jubelt über das Urteil.
«Ein solches Urteil ist eine wichtige Unterstützung für die Klimaaktivisten. Und wir hoffen, dass sie ein zusätzliches Signal an die Schweizer Regierung sendet, schneller für eine Klimapolitik zu handeln, die den heutigen Herausforderungen gerecht wird», sagt etwa die Doktorandin Emma Chollet (23) aus Neuenburg. Regierungen gefährdeten mit ihrem «Versagen» Menschen auf der ganzen Welt.
«Müssen besprechen, ob ähnliche Klage infrage kommt»
Die Eidgenossenschaft hat sich – wie Deutschland – dem Pariser Abkommen verpflichtet. Doch das revidierte CO2-Gesetz, das die Schweizer Klimapolitik vor allem bis zum Jahr 2030 regelt und am 13. Juni vors Stimmvolk kommt, reicht etwa laut dem ETH-Professor Reto Knutti nicht, um das angestrebte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. In der Schweiz droht darum ein ähnliches Szenario wie in Deutschland: Statt die Treibhausgas-Minderung fair über einen längeren Zeitraum zu verteilen, beträfen die nach 2030 voraussichtlich nötigen Massnahmen vor allem die Jungen.
«Wir müssen uns das deutsche Klimaurteil auf jeden Fall anschauen und besprechen, ob eine ähnliche Klage für uns infrage kommt», sagt Mattia De Lucia (19) aus Zürich. Wie Emma Chollet gehört er zu einem Teil des Klimastreiks – dem Schweizer Äquivalent zu Fridays for Future – die das Referendum gegen das CO2-Gesetz ergriffen und just die Nein-Parole ausgegeben hat. Ein umstrittener wie hilfloser Versuch, anzuprangern, dass die Vorlage zur Erreichung der Klimaschutzziele nicht genügt.
Mit dem Urteil der Karlsruher Richter hat die junge Klimabewegung in der Schweiz möglicherweise ein Instrument in der Hand, um der Politik Druck zu machen.
«Im Idealfall ist diese Klage jetzt ein Grundstein für weitere Klagen – auch aus dem Ausland. Menschen überall können sich daran ein Beispiel nehmen, Menschen können sich darauf berufen», sagte Luisa Neubauer in einem Video auf Instagram.
Expertin räumt Schweizer Klimajugend gute Chancen ein
Ähnliche Klimaklagen laufen von Argentinien über Kanada bis Pakistan. Zwar gibt es in der Schweiz kein Bundesverfassungsgericht wie in Deutschland. Doch einen Teil der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit korrigiert der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg (F) – die Anlaufstelle für Schweizer Grundrechtsfragen, wenn Beschwerdeführende hierzulande abgeblitzt sind.
«Wir haben uns völkerrechtlich an das Pariser Abkommen und die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden. Junge Klimaaktivisten könnten zuerst in der Schweiz klagen und dann weiter nach Strassburg ziehen. Dort könnten sie versuchen, die Handlungspflicht des Staates herbeizuführen, wenn es die Regierung nicht von selbst macht», sagt die Rechtswissenschaftlerin Elisabeth Bürgi Bonanomi vom Zentrum für Entwicklung und Umwelt (CDE) an der Uni Bern.
Zwar könne der EGMR keine Gesetze in der Schweiz aufheben. Aber: «Interessant ist ja, dass das Bundesverfassungsgericht die Klimafrage mit den Grundrechten verknüpft. Dieses Urteil dürfte einen EGMR-Entscheid sicher mitprägen.» Bei einem entsprechenden Urteil wäre der diplomatische Druck auf die Schweiz dann gross, das Urteil auch zu befolgen.
Ähnlich vorgegangen sind bereits die Schweizer «Klima-Seniorinnen». Unterstützt von Greenpeace werfen sie dem Bund vor, mit einem zu schwachen Klimaschutz ihr Recht auf Leben und Gesundheit zu verletzen, da die getroffenen Klimaschutzmassnahmen zu schwach seien. Ende März gab das EGMR der Klage Toppriorität und forderte das Bundesamt für Justiz zur Stellungnahme auf. Vielleicht wird der Kampf gegen den Klimawandel künftig noch häufiger vor Gericht entschieden.
196 Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention haben sich am 12. Dezember 2015 in Paris darauf geeinigt, dass sie alles unternehmen wollen, um den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad – sicher aber auch deutlich unter 2 Grad Celsius – zu beschränken. Das soll vor allem über die Reduktion von CO2-Emissionen erreicht werden. Auch die Schweiz hat das Pariser Abkommen ratifiziert.
Doch der Vertrag hat einen Pferdefuss: Er sieht erstens keine verpflichtenden Massnahmen für die einzelnen Staaten vor, wie der CO2-Ausstoss verkleinert werden soll. Vor Beginn der Klimaverhandlungen in Paris hatten 187 Staaten nationale Klimaaktionspläne und entsprechende CO2-Reduktionsziele eingereicht. Allerdings würden diese zu einer Erderwärmung von etwa 2,7 Grad führen.
Zweitens droht keinem Land eine Strafe, wenn es die Ziele nicht erreicht oder einfach untätig bleibt. Auf wie wackligem Boden das Abkommen steht, zeigt der Rückzug der USA, den Präsident Donald Trump am 1. Juni 2017 bekannt gegeben hat.
196 Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention haben sich am 12. Dezember 2015 in Paris darauf geeinigt, dass sie alles unternehmen wollen, um den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad – sicher aber auch deutlich unter 2 Grad Celsius – zu beschränken. Das soll vor allem über die Reduktion von CO2-Emissionen erreicht werden. Auch die Schweiz hat das Pariser Abkommen ratifiziert.
Doch der Vertrag hat einen Pferdefuss: Er sieht erstens keine verpflichtenden Massnahmen für die einzelnen Staaten vor, wie der CO2-Ausstoss verkleinert werden soll. Vor Beginn der Klimaverhandlungen in Paris hatten 187 Staaten nationale Klimaaktionspläne und entsprechende CO2-Reduktionsziele eingereicht. Allerdings würden diese zu einer Erderwärmung von etwa 2,7 Grad führen.
Zweitens droht keinem Land eine Strafe, wenn es die Ziele nicht erreicht oder einfach untätig bleibt. Auf wie wackligem Boden das Abkommen steht, zeigt der Rückzug der USA, den Präsident Donald Trump am 1. Juni 2017 bekannt gegeben hat.