Auch im Kunstbetrieb ist Wissen Macht. Galeristen, Sammler, Händler und Experten kennen ihren Picasso und verdienen sehr viel Geld damit. Doch mehr noch hat Kunst mit Gefühl zu tun – das bekanntlich täuschen kann: Die Hälfte aller Werke auf dem Kunstmarkt ist gar nicht echt.
In unzähligen Museen und Galerien werden tagtäglich Fälschungen grosser Meister bewundert, die namhafte Experten als Originale deklarieren. Manchmal wird eine Fälschung entlarvt – in der Regel durch Zufall. Dann schreit die Kunstwelt kurz auf, um sich anschliessend wieder ehrfürchtig anderen Werken zu widmen, die vielleicht ebenfalls Fake sind.
Algorithmen erkennen Fälschungen
Die Physikerin Carina Popovici (39) mochte Kunst schon immer. Dass sie auch die eine oder andere Fälschung bestaunt hatte, wurde ihr aber erst nach Gesprächen mit einer Kunsthistorikerin klar. Da arbeitete Popovici als Analystin bei einer Schweizer Grossbank und entwickelte Finanzmodelle mittels Algorithmen. «Die lassen sich aber nicht nur einsetzen, um Finanzmärkte zu sortieren», sagt Popovici. «Sie können genauso gut den Kunstmarkt durchforsten.»
Bloss gab es bis 2019 noch kein solches Programm. Also gründete Popovici das Zürcher Start-up Art Recognition. Dann entwickelte sie eine Software, die echte Kunstwerke von Fälschungen unterscheiden kann – finanziert mit Geldern aus dem EU-Förderprogramm Horizon 2020. Private Investoren stiegen ein, immer mehr Auktionshäuser und Galerien klopften bei Popovici an.
Software lernt anhand von Originalen
«Die Software ist das Herzstück unserer Firma», sagt Popovici. Kunsthistoriker füllen die Datenbank mit Bildern von sämtlichen Gemälden eines Meisters – etwa des niederländischen Malers Vincent van Gogh. Das ist aufwendig, denn es dürfen keine Fälschungen darunter sein. «Nur Bilder, die mit absoluter Sicherheit echt sind, kommen in den Korb», sagt Chief Technology Officer Romanas Einikis (32).
Ist die Sammlung fertig, macht sich die Software an die Arbeit. Die künstliche Intelligenz lernt alles über den Maestro, von der Farbgebung bis zum Pinselstrich. Anschliessend wird sie mit einem Kontrast-Korb voller Bilder konfrontiert, die van Goghs Werken stark gleichen, aber nicht von ihm stammen. «Durch den Vergleich der beiden Körbe schärft das Programm sein Wissen über van Gogh», sagt Romanas Einikis. «Es lernt, seine Werke von Fälschungen zu unterscheiden.»
Echtheitszertifikat ab 5000 Franken
In den ersten zwei Jahren hat Art Recognition 100 Künstler ins Programm genommen. Allein im letzten Halbjahr sind 200 weitere hinzugekommen. Die Datenbank umfasst rund 60'000 Gemälde. Kunden aus der ganzen Welt schicken Fotografien ihrer Bilder nach Adliswil ZH: Auktionshäuser, Galerien, Museen, Sammler – aber auch Menschen, die zufällig ein altes Gemälde der Grosseltern auf dem Dachboden gefunden haben. Denn wenn sie das Erbstück verkaufen wollen, müssen sie ein Echtheitszertifikat erlangen.
Zu einem Preis ab 800 Franken stellt Art Recognition fest, ob ein Objekt echt ist oder nicht. Eine ausführliche Analyse inklusive Report und Zertifikat ist teurer und kostet einen Betrag ab 5000 Franken.
Der Algorithmus lässt sich nicht beeinflussen
Das sei allerdings günstig im Vergleich zur klassischen Alternative, sagt Chief Sales Officer Christina Andersen (45): «Der versicherte Transport eines Gemäldes und die Gutachten von Experten, die sich überdies oft uneinig sind, können in einigen Fällen bis zu 30'000 Franken kosten.» Noch wichtiger aber sei, dass der Algorithmus sich nicht beeinflussen lasse: «Seine Trefferquote ist sehr hoch.» Das macht ihn zur Ausnahmeerscheinung in der Kunstwelt: Er arbeitet nicht nach Gefühl.
Carina Popovicis Kombination von Technologie und Kunst hat gute Chancen, den Durchbruch zu schaffen – auch darum, weil sie es in der Schweiz versucht. Denn die hiesige Start-up-Szene boomt. «2021 war ein Rekordjahr», bestätigt Max Meister (43), Mitinhaber der Swiss Ventures Group. «In Schweizer Jungunternehmen wurden drei Milliarden Franken investiert.»
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Und das mitten in der Pandemie. Warum? «Die meisten Start-ups sind digital unterwegs», sagt Max Meister. «Sie haben von Corona sogar profitiert.»
Trotzdem gibt es Luft nach oben: Nur zwei Prozent der Schweizer Start-ups werden von Frauen geleitet. «Das müssen wir dringend ändern», sagt Carina Popovici, die selber zwei Kinder hat. Als Frau gehörte sie schon in der Bankenwelt zu einer Minderheit. Das grösste Problem sei die Kinderbetreuung, sagt Popovici: «Sie ist zu teuer. Es braucht stärkere staatliche Unterstützung.»
Damit mehr Frauen ihre kreativen Ideen erfolgreich umsetzen können.