«Ich halte mich an die Hoffnung»
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Adventszeit in der Pandemie:Wie geht es unseren älteren Mitmenschen?

So blicken Senioren auf die zweite Weihnachtszeit in der Corona-Pandemie
«Ich halte mich an die Hoffnung»

Erneut wird das Einläuten in die Adventszeit von stark steigenden Corona-Fallzahlen begleitet. Was macht das mit den älteren Menschen im Land?
Publiziert: 28.11.2021 um 18:16 Uhr
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Annelies Hubler (89) lebt in einem Alterszentrum in Fislisbach AG.
Foto: Thomas Meier
Dana Liechti

Wieder einmal beisammensitzen, jassen, gemeinsam essen und trinken: In den letzten Monaten zog in so manchem Altersheim etwas Normalität ein. «Man näherte sich mit gebotener Vorsicht der ursprünglich hier erlebten familiären Lebensweise», sagt Annelies Hubler (89), die in einem Alterszentrum in Fislisbach AG lebt. «Ein Aufatmen wehte durchs Haus und Lebenswille und -freude hoben sich.»

Jetzt – Glitzerdeko und Glühweinduft in den Strassen künden es an – steht ein neues Weihnachten vor der Tür. Das Fest der Liebe, das viele ältere Menschen 2020 ohne ihre Liebsten verbringen mussten. Noch schlimmer: Im Alterszentrum von Annelies Hubler starben zwischen Weihnachten und Neujahr 26 von 120 Bewohnenden an Corona. «Dass so viele so schnell von uns gegangen sind, hat uns sehr getroffen», sagt sie.

Weihnachten steht erneut auf der Kippe

Aufgrund steigender Infektionszahlen und eines späten Starts der Drittimpfung stellt sich erneut die Frage: Kann Weihnachten gross gefeiert werden? Oder wird die Lage erneut zu angespannt sein?

Ihre Booster-Impfung haben Hedi Witschi (94) und Ruth Junker (81), die beide im Seniorenhof in Iffwil BE wohnen, zwar am Freitag bekommen. Ob das Weihnachtsfest stattfinden kann, steht für sie dennoch in den Sternen. «Ich hoffe schon, dass ich in diesem Jahr wieder mit meiner Familie feiern kann», sagt Hedi Witschi. «Ich geniesse es immer, wenn ich Zeit mit meinen Urgrosskindern verbringen kann.» Noch weiss sie nicht, ob es klappt. «Aber man muss sich dreinschicken und das Beste daraus machen.» Hadern mag sie nicht. «Schliesslich gibt es gäng etwas, woran man Freude haben kann. Ich kann jeden Tag aufstehen und spazieren gehen – was will man mehr?»

Auch Ruth Junker sagt, dass man sich damit abfinden müsse, an Weihnachten vielleicht wieder keinen Besuch zu bekommen. «Ich habe bewusst noch nichts geplant. Wir hatten schöne Zeiten, und jetzt sind es halt gerade andere. Jammern bringt nichts.» Manchmal sei ihr der Trubel an Weihnachten sowieso zu viel. «Ausserdem kann man ja auch telefonieren, fernsehen oder Radio hören. Und wir haben hier eine warme Stube, gutes Essen und super Pflegerinnen. Junker: «Das schätze ich, es ist nicht selbstverständlich.»

Den Zauber der Adventszeit lassen sich die beiden sowieso nicht nehmen. «Ich freue mich aufs Chrömlimachen, das ist wunderbar», sagt Junker. «Und wenn ich auf den Gang trete und die Lichterketten leuchten sehe, ist das einfach nur herrlich.» Witschi freut sich mit ihr auf den Weihnachtsschmuck, den sie in ihrem Zimmer anbringen möchte. Auch darauf, vielleicht jemanden zu besuchen, wenn man denn dürfe, mit einem Brief eine kleine Freude zu machen «oder in Ruhe in einem tollen Buch oder in der Bibel zu lesen, das ist doch schön!»

Nachgefragt bei Pro Senectute

Wie blicken Seniorinnen und Senioren hierzulande der Festzeit entgegen?
Peter Burri Follath: Im Vergleich zum letzten Jahr haben wir nun mehr Klarheit und dank der Impfung viel mehr Sicherheit. Doch das Virus ist nicht weg und verlangt von allen nach wie vor Disziplin.

Zudem führt die aktuelle Lage erneut zu der Frage, was an Weihnachten möglich sein wird.
Unsicherheit ist nie gut. Und gerade für ältere Menschen ist die Weihnachtszeit eine der wenigen Möglichkeiten, sich mit Familie und Verwandtschaft zu treffen. Angesichts der stark steigenden Fallzahlen ist jetzt zentral, alle besonders gefährdeten Menschen, insbesondere hochaltrige Menschen in Alters- und Pflegeheimen, mit dem Booster zu schützen, damit sie die Festtage mit ihren Nächsten verbringen und geniessen können.

Was wünschen Sie sich für die Adventszeit?
Pro Senectute appelliert an alle, in dieser Zeit ganz besonders den Kontakt zu älteren Personen zu pflegen. Und zwar regelmässig. Denn für viele ist dies eine Zeit der Einsam- und Traurigkeit.

Peter Burri Follath von Pro Senectute Schweiz.
zVg

Wie blicken Seniorinnen und Senioren hierzulande der Festzeit entgegen?
Peter Burri Follath: Im Vergleich zum letzten Jahr haben wir nun mehr Klarheit und dank der Impfung viel mehr Sicherheit. Doch das Virus ist nicht weg und verlangt von allen nach wie vor Disziplin.

Zudem führt die aktuelle Lage erneut zu der Frage, was an Weihnachten möglich sein wird.
Unsicherheit ist nie gut. Und gerade für ältere Menschen ist die Weihnachtszeit eine der wenigen Möglichkeiten, sich mit Familie und Verwandtschaft zu treffen. Angesichts der stark steigenden Fallzahlen ist jetzt zentral, alle besonders gefährdeten Menschen, insbesondere hochaltrige Menschen in Alters- und Pflegeheimen, mit dem Booster zu schützen, damit sie die Festtage mit ihren Nächsten verbringen und geniessen können.

Was wünschen Sie sich für die Adventszeit?
Pro Senectute appelliert an alle, in dieser Zeit ganz besonders den Kontakt zu älteren Personen zu pflegen. Und zwar regelmässig. Denn für viele ist dies eine Zeit der Einsam- und Traurigkeit.

Adventszeit ist für viele belastend

Nicht alle können mit Freude auf die Weihnachtstage blicken, weiss Inge Schädler (83), Vizepräsidentin des Dachverbands aktiver Seniorinnen und Senioren (Vasos). «Ich kenne Fälle von älteren Menschen, die sich aufgrund der Pandemie völlig zurückgezogen haben und sich eingeschränkt fühlen.»

Die Adventszeit sei gerade für ältere Alleinstehende oder Menschen, die jemanden verloren haben, generell schwierig. Dass in der Pandemie auch noch viele Veranstaltungen wegfallen, mache die Leere noch schmerzhafter. «Immerhin ist die Situation in diesem Jahr dank der Impfungen schon besser als im vergangenen. Vieles findet wieder statt.» Zudem kämpfen Verbände wie Vasos oder Kirchgemeinden gegen die Einsamkeit an – etwa mit Anrufen zu Hause.

Es sind denn auch oft die kleinen Dinge, die grosse Freude bereiten – so laut Annelies Hubler etwa die Lichtervorhänge, die nun wieder die Räume des Alterszentrums schmücken: «Sie spenden Heiterkeit und Zuversicht.» Oder dass die Angehörigen im Dezember wohl mal auf ein Zmittag oder Kaffee und Kuchen vorbeikommen – vorausgesetzt, die Lage bleibe bis zum Jahreswechsel unverändert.

«Wünsche formuliere ich nicht», sagt Hubler, «ich halte mich an die Hoffnung.»

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