Tiziana (49) aus Wetzikon ZH freut sich über ein Schnäppchen: «Für den gleichen Mantel, der in der Schweiz 300 Franken kostet, habe ich hier 200 Euro gezahlt. Zudem kann ich 35 Euro Mehrwertsteuer zurückfordern.»
Eine Aussage, die man so wohl jede Woche hört. Gepaart mit dem dazu passenden Bild: In Kolonnen reihen sich die Autos mit Schweizer Kennzeichen vor dem Grenzübergang zu Deutschland. In der Konstanzer Altstadt tummeln sich Einkaufstouristinnen und -touristen. Was sie anlockt, sind die tieferen Preise im Nachbarland.
Wer heute für 300 Franken Ware in Deutschland einkauft, kann am Zoll nicht nur den Betrag für die deutsche Mehrwertsteuer zurückverlangen, sondern umgeht auch die Schweizer Mehrwertsteuer: Fast 20 Prozent spart man so. Laut einer Studie kauften die Schweizerinnen und Schweizer im Jahr 2022 für ganze 8,5 Milliarden Franken im Ausland ein. Ganz zum Ärger der Grenzkantone St. Gallen und Thurgau, die das schon länger verhindern wollen und nun von der freisinnigen Wiler Bundesrätin Karin Keller-Sutter erhört wurden: Ab 2025 soll die Wertfreigrenze von 300 auf 150 Franken sinken. Der Vorschlag geht in die Vernehmlassung.
Tiziana lässt sich davon nicht beeindrucken: «Toll ist es nicht, aber, vom Einkauf in Konstanz würde es mich nicht abhalten. Denn sparen würde ich sowieso.»
Nach mehreren Gesprächen mit Schweizerinnen und Schweizern wird klar: Nach Konstanz kommen viele nicht nur, um ihre Einkaufsliste abzuarbeiten, vielmehr geniessen sie das Gesamterlebnis. So wie Lisa (59) und Hans (65) aus Solothurn. Lisa sagt: «Wir kommen nicht oft nach Konstanz. Deshalb geht es bei unserem Besuch auch nicht nur ums Shoppen, sondern um andere Aktivitäten, die hier günstiger sind.» Angesprochen auf den Vorschlag von Keller-Sutter, sind die Schweizer Touristen einig: Es wäre schade, aber kein Hindernis, den Tagesausflug nach Konstanz trotzdem zu unternehmen.
Regelmässige Tagesausflüge und Einkäufe
Der Pensionär Heinz kommt regelmässiger nach Konstanz, sei aber kein «Einkaufstourist», sagt er. «Ich gehe hier ab und zu auf den Markt und kaufe Gewürze. Sonst kaufe ich hier kaum ein, für mich lohnt sich das nicht.» Verständnis habe er aber für gering verdienende Familien, die hier einkaufen: «Da finde ich den Vorschlag von Keller-Sutter unfair und der falsche Ansatz. Viel sinnvoller wäre es doch, die Preise in der Schweiz attraktiver zu machen.»
Einer, der eher aufs Budget achten muss, ist Andy Gindele (60). Der im Zürcher Oberland wohnhafte Deutsche ist Vater eines Kleinkindes und fährt alle zwei bis drei Wochen nach Konstanz. In den Händen hält er Packungen WC-Papier, eine Tasche mit Pflege- und Hygieneprodukten sowie eine grosse Packung Windeln. Für diese Produkte gebe er in Deutschland bedeutend weniger Geld aus, sagt er. Keller-Sutters Vorschlag beeindruckt ihn nicht: «Für die Produkte gebe ich nicht mehr als 100 Euro aus.»
Victoria (31) und Philipp (35) wohnen in Kreuzlingen TG – nur 15 Autominuten von ihrer deutschen Heimat entfernt. In Konstanz erledigen die beiden fast alle ihre Einkäufe, sie kommen jede Woche hierher. «Mit Ausnahme von Käse und Fleisch kaufen wir hier alles», sagt Victoria. Wegen der Qualität. Für die Einkäufe geben sie in der Regel nie mehr als 150 Franken aus: «Oft ist es sogar weniger als 50 Euro», so Philipp.
Und was halten die Konstanzerinnen und Konstanzer von Keller-Sutters Vorschlag? Kann er den Einkaufstourismus eindämmen? Nein, findet Sophia Schuhmann (42). Die Coiffeuse, deren Kundschaft zu rund einem Drittel aus Schweizerinnen besteht, sagt: «Selbst wenn die Preise in den letzten Jahren gestiegen sind, ist der Restaurantbesuch immer noch günstiger als in der Schweiz.» Am Wochenende sei spontan kaum ein freier Tisch zu bekommen.
Bei der Metzgerei Otto-Müller hofft man, dass die Wertfreigrenze nicht auf unter 100 Franken gesenkt wird. Denn Fleisch darf man im Ausland nur für maximal 100 Franken einkaufen und in die Schweiz importieren. Würde der Fleischkauf für die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland unattraktiv werden, wäre man hier nicht erfreut: «Ein beachtlicher Teil unserer Kundschaft kommt nämlich alle zwei bis drei Wochen aus der Schweiz hierher», so Kata Schmidt (49), stellvertretende Geschäftsleiterin.
Fazit: Ob für regelmässige Einkäufe oder den Tagesausflug – die Schweizerinnen und Schweizer scheffeln fleissig Euros in die Kassen der deutschen Geschäfte. Sich die Freude am Konsum in Deutschland verderben lassen, wollen sie aber nicht – selbst wenn der finanzielle Benefit mit dem Vorhaben von Keller-Sutter eingedämmt werden könnte.