Verloren auf dem Impfbasar
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Berner Beamte müssen liefern:Verloren auf dem Impfbasar

Schweizer Beamte müssen liefern
Verloren auf dem Impfbasar

Zögerliche Beamte, verpasste Chancen, Dienst nach Vorschrift. Die Impfstoffbeschaffung des Bundes hinkt den Erwartungen hinterher. Die Gründe.
Publiziert: 14.03.2021 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2021 um 21:20 Uhr
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Gähnende Leere: Alles steht bereit, doch der Stoff fehlt. Impfezentrum in Zürich Oerlikon.
Foto: keystone-sda.ch
Tobias Marti und Sven Zaugg

Er brauchte mal wieder eine gute Nachricht. Die dritte Welle nimmt gerade Fahrt auf, eine baldige Lockerung des Lockdowns ist so wacklig wie Badeferien in Rio de Janeiro. Manche schimpfen ihn seit Wochen schon Diktator. Und da waren sie, die «guten Neuigkeiten», die Bundesrat Alain Berset (48) jubeln liessen: Drei Millionen zusätzliche Dosen haben seine Beamten dem US-Giganten Pfizer und den deutschen Impfstars von Biontech abgerungen.

Die Beamten vom Bundesamt für Gesundheit, jene mit der schlechten Presse und der sehr schlechten Presse, haben doch noch geliefert: «Damit stärkt die Schweiz ihre Impfkampagne weiter», verkündet ihr stolzer Chef Alain Berset. Das war am Mittwoch.

In der Schweiz stritt man sich jüngst über alles mögliche: Restaurantterrassen, Härtefall-Milliarden und eben über Diktatoren-Vergleiche. Nur um die Corona-Impfung, die so schleppend vorwärtsgeht wie das Samstagabendprogramm im Schweizer Fernsehen, blieb es erstaunlich ruhig. Dabei führt allein die Impfung aus dem Corona-Schlamassel.

Marokko hat die Schweiz im weltweiten Impfwettrennen gerade rechts überholt, Serbien ist längst doppelt so weit. Mit Impfturbos wie Israel und Grossbritannien scheut man als Schweizer schon lange den Vergleich.

Die Kantone sitzen mit ihren Impfzentren auf dem Trockenen. Der Stoff fehlt. «Mit Lieferschwierigkeiten rechnen wir auch für die Zukunft», sagt der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati (54). Weltweite Lieferengpässe, lautet die Begründung des Bundes. Immerhin, die Misere betrifft nicht nur die Schweiz. Die Deutschen schreien bereits «Impfdebakel». Der ungeimpfte Schweizer macht derweil die Faust im Sack.

Nur einen Tag nach den «guten Neuigkeiten» verhagelte die Presse die bundesrätliche Laune. Die Firma Lonza, die im Wallis den Impfstoff für die Firma Moderna herstellt, habe der Schweiz eine eigene Impfstrasse angeboten, berichteten die Tamedia-Zeitungen. 70 Millionen hätte das gekostet. Offenbar ein Schnäppchen. Die Schweiz hätte ab sofort selber am Fliessband des Zaubermittelchens stehen können. Nur lehnte Bern dankend ab. Das Gesetz hätte angepasst werden müssen, begründete das BAG.

Berset verstimmt

Lustlos hockte Bundesrat Berset am Freitag vor dem Mikrofon im Medienzentrum des Bundeshauses. Der Unmut stand ihm auf der Stirn. «Es war nie die Rede vom Kauf einer Produktionslinie gewesen», sagte er. Lonza sei es lediglich um Staatsinvestitionen gegangen. Aber die Schweiz betreibe keine Industriepolitik und sowieso sei ein Zugang zum Impfstoff fragwürdig gewesen, weil die Ware den Amerikanern gehöre.

Aber da war bereits passiert, was passieren musste. Chance verpasst, denken die Leute. Wieder einmal zu zögerlich gewesen. Wie früher schon: Etwa als Russland der Schweiz seinen Sputnik-Impfstoff anbot. Bern reagierte nicht einmal auf das Angebot.

Oder wie bei Pfizer. Die Firma soll bereits vergangenes Jahr sechs Millionen Impfdosen angeboten haben. Bern lehnte dankend ab, man wollte nur drei Millionen. Danach bereute man natürlich. Und nun feiert man die Heimkehr der einst verschmähten Lieferung.

Und auf den Impfstoff von Johnson & Johnson, der in Bümpliz BE praktisch in Sichtweite des Bundeshauses vom Fliessband läuft, verzichtet Bern grosszügig. Der Stoff sei für die Impfstrategie «wenig relevant» und wäre ohnehin erst im dritten Quartal geliefert worden. Zu spät für die Schweiz, erklärte BAG-Vizedirektorin Nora Kronig (40) ausgerechnet in der Woche, in der die EU den Stoff zulässt. Die Schweizer Zulassung wird in den nächsten Wochen erwartet.

Insider widersprechen

Insider aus dem Umfeld des US-Pharmariesen erzählen eine andere Geschichte. «Seit Oktober steht man in Verhandlungen mit dem BAG. Doch die Beamten wussten nicht, was sie wollen», sagt einer. Zu zögerlich, zu pedantisch seien die Beamten vorgegangen. Und: «Eine Lieferung im zweiten Quartal wäre durchaus realistisch gewesen.»

Im kleinen Kreis soll Kronig immer wieder betont haben, dass man von der Wirksamkeit ohnehin nicht überzeugt sei, sagt eine weitere Quelle. Neue Studien zeigen das Gegenteil: schwere Krankheitsverläufe konnten zu 85 Prozent verhindert werden.

So oder so. Die Verhandlungen mit Johnson & Johnson sind Geschichte, mit der Impfung aus Bümpliz wird die Schweiz keine Lieferengpässe mehr beheben können. Und so fragt sich die Bevölkerung langsam, aber sicher: Wie wohl fühlen sich unsere Beamten auf dem internationalen Impfbasar?

«Es hat viele Topfachleute, aber ganz offensichtlich wenig Know-how im Krisenmanagement, da bräuchte es dringend externe Unterstützung», sagt Andreas Faller (54), ehemaliger Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit und heute Anwalt und Berater im Gesundheitswesen.

«Dienst nach Vorschrift»

Das Amt werde sehr stark mit politischen Vorgaben geführt, sagt er. Die Leute seien deshalb zu wenig motiviert, sich kritisch einzubringen, das vorhandene Fachwissen werde zu wenig genutzt. Laut Faller sprechen Insider vom BAG häufig als «Politbüro». «Kreativität und Dynamik werden zu wenig gefördert», sagt der frühere Chefbeamte. «Es herrscht häufig Dienst nach Vorschrift.»

Die Ausrede, man habe keine rechtliche Grundlage, werde immer vorgeschoben. «Die Formulierung einer gesetzlichen Grundlage ist nicht Raketenwissenschaft und hat auch im Parlament in wenigen Tagen funktioniert», sagt Faller, der sich in der Krise mehr Dynamik und Offenheit gegenüber anderen Meinungen wünscht.

Aggressiver Plan

Auf dem internationalen Impfmarkt tun andere Kaliber mit. Etwa Israels Premier Benjamin Netanyahu, der zuerst einen höheren Preis zahlte als alle anderen. Und danach auch noch die Patientendaten an die Impfstoffproduzenten lieferte. Oder Grossbritanniens Premier Boris Johnson, der frühzeitig Verträge mit mehreren Lieferanten abgeschlossen hat.

«Wir verfolgten einen aggressiven Plan», kontert Andrin Oswald (50). Als externer Delegierter für Impfstoffbeschaffung hat er eine Zeit lang für die Schweiz mit den Herstellern verhandelt. Der Mann kennt die Branche, war Impfchef bei Novartis und arbeitete für die Bill & Melinda Gates Foundation.

«Bereits im Mai hat die Schweiz für den Moderna-Impfstoff eine Summe in die Hand genommen, die verglichen an der Bevölkerungszahl grösser war als jene, die die USA investierte», sagt der ehemalige Unterhändler.

«Man muss mit den richtigen Leuten reden.» Kein Hersteller warte darauf, dass die Schweiz anrufe, sagt Oswald. Die Strategie sei gewesen, schnell Zugang zu den bestmöglichen Impfstoffen zu erhalten – wie andere führende Länder auch. Schneller als alle anderen zu sein, sei nie der Plan gewesen. Die Schweiz habe immer das Ziel verfolgt, im ersten Quartal die Risikopersonen zu impfen, im zweiten Quartal den Rest der Bevölkerung.

Aber warum wird die Schweiz gerade von allen abgehängt? Wegen der Führungsstruktur, findet Oswald: «Wenn die Zulassungsbehörde in Israel eine andere Meinung hat als die Regierung, dürfte das dort kaum ein grosses Hindernis sein.»

Wo ist der Krisenstab?

In Bern müsse die Verwaltung zuerst klären, ob rechtlich alles so in Ordnung sei. Dann müssten auch die politischen Kommissionen und die Experten eingebunden werden. «Es bräuchte darum einen Krisenstab. Ohne diesen kann man nicht effizient auf eine Krise reagieren», sagt Oswald.

Die Vorstellung, alles im Inland machen zu können, findet der Pharmamanager naiv. «Wenn man theoretisch eine eigene mRNA-Anlage hätte, fehlt immer noch die Versorgungskette», sagt Oswald. Das heisst: Die ganzen Grundsubstanzen für den Impfstoff müssten auch noch beschafft werden. In Bern wird der Ton derweil immer schriller. «Impfgate» schimpfte die FDP am Donnerstag und forderte wegen der Lonza-Geschichte eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK). Auch die parlamentarische Aufsicht kündigte diese Woche eine Untersuchung zur Impfbeschaffung an.

Auch im Ausland weht ein scharfer Wind. Italien blockiert den Export von Astrazeneca-Impfstoff, weil die Hersteller die EU benachteiligen würden. Und die EU selber wettert gegen den Impfnationalismus der Briten und Amerikaner. Auch in der Schweiz werden erste protektionistische Forderungen laut: «Man müsste den Mut haben und auch mit Ausfuhrsperren drohen, wenn sich Impfstoffhersteller nicht an vertragliche Verpflichtungen halten», sagt Felix Schneuwly (59), Gesundheitsexperte bei Comparis.

Die Schweizer seien stets korrekter als die EU-Mitglieder. Schneuwly: «Wir haben falsche Hemmungen hinzustehen, und zu sagen, wir sind zuerst dran.»

Die Schweiz wartet auf den Stoff. Nur damit geht es aus der Pandemie. «Bis Ende Juni werden wir genug Impfstoffe haben, um jenen Teil der Bevölkerung zu impfen, der sich impfen lassen will», sagte Bundesrat Alain Berset vor einer Woche im Interview mit SonntagsBlick. An diesem Versprechen wird er gemessen.

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