Dawud H. (24) hat Angst um seine Zukunft in der Schweiz
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«Kann nicht mehr schlafen»:Dawud H. (24) hat Angst um seine Zukunft in der Schweiz

Schweiz will Asylbewerber Dawud H. (24) nach Afghanistan zurückschicken
Abschiebung ins gefährlichste Land der Welt

Ende Juni gab das Staatssekretariat für Migration bekannt, in diesem Jahr 144 abgewiesen Asylbewerber nach Afghanistan zurückzuführen. Doch die Unsicherheit und das Konfliktpotenzial im Land sind gross. Dawud H. hat grosse Angst um seine Zukunft.
Publiziert: 16.07.2021 um 06:33 Uhr
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Aktualisiert: 16.07.2021 um 06:55 Uhr
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Dawud H. (24) ist aus seinem Heimatland Afghanistan in die Schweiz geflohen.
Foto: Peter Gerber
Janina Bauer

Dawud H.* (24) kann nicht mehr schlafen. Er hat Angst. Das Warten zermürbt ihn. Jetzt könnte es jeden Tag so weit sein. Schon morgen könnte man ihn in ein Flugzeug stecken und zurück nach Afghanistan bringen. Weg von seinen Freunden und seinem Zuhause in der Schweiz – hinein in ein Leben voller Todesangst.

Denn Afghanistan ist ein Land im Krieg. Die Vereinten Nationen bezeichnen es in ihrem diesjährigen Global Peace Index als das «am wenigsten friedliche Land der Welt». Nichtsdestotrotz beendet die Nato ihren fast zwanzigjährigen Einsatz in dem Land. Ende Juni verliessen die letzten deutschen Soldaten ihre Posten, und auch 90 Prozent der US-Soldaten sind bereits in die Heimat zurückgekehrt.

Seit Beginn des Truppenabzugs im Mai rücken die Taliban insbesondere im Norden und in ländlichen Gegenden gewaltsam vor. Rund ein Viertel aller Bezirke soll mittlerweile unter ihrer Herrschaft stehen. 84′000 Menschen flohen alleine in den letzten Wochen aus ihren Dörfern, wie das Afghanistan Analysts Network berichtet. Trotz dieser prekären Lage will das Staatssekretariat für Migration (SEM) 144 abgewiesene Asylbewerber dorthin zurückschicken.

«Ich dachte, sie werden uns töten»

Die Flucht von Dawud H. aus der Heimat vor rund sechs Jahren war ungeplant und geschah aus der Not heraus: Auf dem Weg zum Einkaufen für den Lebensmittelladen seines Vaters in einem kleinen Dorf im Bezirk Daikondi in Zentralafghanistan wurde er von den Taliban gefangen genommen. Die bewaffneten Männer bedrohten, beschimpften und schlugen ihn und seine Begleiter – denn sie gehören zu den Hazara, einer von den Taliban verhassten Minderheit in Afghanistan. Sie fotografierten die Gefangenen. «Ich dachte sie werden uns töten», sagt H. zu Blick. Doch die Taliban seien einen Moment unachtsam gewesen und so gelang der Gruppe die Flucht.

Weil die Taliban ihn mit den Fotos identifizieren können, war klar: Zurück nach Hause kann er nicht, zu gross wäre das Risiko für sich und seine Familie. «Ich war noch so jung und verängstigt. Deshalb bin ich geflohen», erklärt er. Dawud H. liess sein Zuhause, seine Eltern und die Geschwister zurück – ohne einen einzigen Rappen in der Tasche.

Gemeinsam mit einem älteren Jungen wagte er die Flucht nach Europa. Dabei riskierte er alles: «Sie sagten mir, dass ich bei der Flucht sterben könnte. Aber das war mir egal, ich wollte endlich ein Leben haben.» Sein Weg führt in über den Iran. Dort musste er ein Jahr ohne Lohn arbeiten, um sich beim Schlepper freizukaufen. Weiter ging die Flucht über die Türkei, Griechenland und Österreich – bis er 2015 in der Schweiz ankommt.

Er muss seine Lehre abbrechen

Im Kanton Bern baut sich H. ein neues Leben auf. Zuvor war er Analphabet, hier lernt er Deutsch sprechen, lesen und schreiben. Er findet Freunde, entdeckt seine Leidenschaft für Fussball und Leichtathletik. 2019 beginnt er eine Ausbildung bei einem grossen Detailhändler. Doch es folgen herbe Rückschläge. Seine Asylanträge fallen negativ aus, er muss seine Lehre abbrechen. Auch sein Härtefallgesuch wird kürzlich abgelehnt.

Am 30 Juni, kurz nach der Auslieferungsankündigung des Staatssekretariats für Migration, wird H. zum Ausreisegespräch beim Berner Migrationsdienst gebeten. Als er dort auftaucht, legt ihn die Polizei in Handschellen. Er wird fotografiert, seine Fingerabdrücke werden genommen, die Nacht verbringt er in einer Zelle. «Ich hab nicht verstanden was passiert, sie haben mir keinen Grund genannt.»

Nach einer schlaflosen Nacht sei er in ein Auto gesetzt und nach Genf an den Flughafen gefahren worden. Dort brachte man ihn in ein provisorisch eingerichtetes Büro der afghanischen Botschaft. «In dem Moment dachte ich mir: Jetzt ist alles vorbei, jetzt fliegen sie mich zurück. ». Schlussendlich sei er aber nur befragt worden – insbesondere zu seinem Heimatort in Afghanistan. Das SEM gibt zu diesem Vorfall keine Auskunft.

Afghanische Regierung fordert Abschiebungsstopp

Vergangenes Wochenende meldeten sich die afghanischen Behörden zu Wort. Europäische Staaten werden angehalten für drei Monate von Abschiebungen abzusehen. Die Begründung: Gefahr durch die gewalttätigen Taliban und die steigenden Corona-Zahlen. In der Schweiz habe man das Ersuchen zur Kenntnis genommen und prüfe zurzeit, wie man sich diesbezüglich verhalte, so Mediensprecher Lukas Rieder. Er betont: «Das SEM ist sich dabei der angespannten Situation in Afghanistan bewusst und beobachtet die aktuelle Entwicklung sehr genau.»

Trotz allem hat Dawud H. die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Er träumt weiter von einem selbstbestimmten Leben in der Schweiz: «Ich möchte meine Lehre abschliessen, arbeiten – und endlich frei sein.»

*Name bekannt


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