Schlammschlacht in der «Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft»
Streit ums Rütli eskaliert

Libertäre Kreise kämpfen um die Kontrolle über das Schweizer Nationalsymbol – und um über 100 Millionen Franken. Im Visier steht SGG-Präsident Nicola Forster. Und jetzt mischt auch noch ein SVP-Nationalrat mit.
Publiziert: 30.04.2023 um 20:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2023 um 20:21 Uhr
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Drei Fahnenschwinger in Aktion auf der Rütliwiese während der Bundesfeier 2022.
Foto: Keystone
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

In der heimischen Vereinslandschaft gibt es einen schlafenden Riesen. Das Ungetüm mit dem sperrigen Namen Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, kurz SGG, ist älter als der Bundesstaat – 212 Jahre – und in erster Linie für die Verwaltung der Rütliwiese zuständig. Ohne diesen Verein gäbe es keine Pro Juventute, keine Pro Senectute, keine Mobiliar-Versicherung, keine Maggi-Würfel. All das sind Gründungen und Erfindungen, die durch die SGG ermöglicht wurden.

Seit 2020 ist dort eine Generation junger Akademiker eingestiegen, die in Thinktanks und an Panels, in «Democracy Labs» und Co-Working-Spaces erst richtig aufblüht. Ihr ungekrönter König heisst Nicola Forster (38).

Forsters Vita liest sich wie ein Best-of dieser neuen, hippen Elite: Er gründete einst den aussenpolitischen Thinktank Foraus, ist «Gründungskurator» der «Global Shapers» am WEF, Mitgründer der Operation Libero, Stiftungsratspräsident des Vereins Science et Cité zur «Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft», sitzt in der bundesrätlich ernannten Unesco-Kommission und ist Co-Präsident der Zürcher Grünliberalen. Seit 2020 ist er auch Präsident der SGG.

Unter Forsters Ägide erwacht der Riese allmählich; so wurden Projekte wie «Lasst uns reden» oder #StandUp4Democracy mitfinanziert. Forster, das halten ihm auch seine Kritiker zugute, reisst solche Vorhaben an. Im Herbst will er für den Nationalrat kandidieren.

Geld für Initiative der Jungen SVP verlangt

Nun gibt es da aber ein Problem. 2021 holte der SGG-Vorstand einen Finanzfachmann ins Gremium. Die Wahl fiel auf Jürg Kallay (60), einen Treuhänder aus Küsnacht ZH. Jetzt erweist sich Kallay als trojanisches Pferd. Denn er bildet als Einzelmaske die rechtsbürgerliche Minderheit – und verfolgt eine Mission: Er will mehr Gleichgesinnte und «mehr Fachwissen» an Bord des Vereins holen, der am vergangenen 1. August Akademikerinnen am Rednerpult über die Klimagerechtigkeit sinnieren liess. Das hielt er bisher geheim, nun attackiert er.

Als es zu mehreren Vakanzen gekommen war, organisierte Kallay fünf genehme Kandidatinnen und Kandidaten, darunter den Freiburger Ökonomen Reiner Eichenberger (61) und die «NZZ»-Journalistin Katharina Fontana (58). Nachdem sie ihre Vorgesetzten um Erlaubnis für ihre Kandidatur gebeten hatte, verbreitete sich die Kunde bis zum Schwesterverlag CH Media, dessen Titel am Mittwoch den «rechtsbürgerlichen Putschversuch» vermeldeten.

Hinzu kommt, dass Kallay Figuren wie Leroy Bächtold (29) ermuntert hat, eine Mitgliedschaft zu beantragen. Bächtold ist ehemaliger Jungfreisinniger und heute ein libertärer Aktivist. Über Nacht stiegen die Anmeldungen bei der SGG sprunghaft an. Mittlerweile sind es laut SonntagsBlick-Informationen mehr als 100, die meisten von ihnen junge Männer ohne Erfahrung im gemeinnützigen Bereich – die Sprengkandidaten besorgen sich ihre Wähler gleich selbst. Im Raum steht eine Übernahme der Organisation an der GV vom 17. Juni.

Kallay betont, er sei parteilos. Vor vielen Jahren habe er via SVP Küsnacht seine Finanzdienste bei einer SVP-Stiftung anbieten wollen.

Aufhorchen lässt überdies, dass nun auch SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (44) eine SGG-Mitgliedschaft beantragt hat, wie SonntagsBlick zugetragen wurde. Anfragen dazu liess er unbeantwortet.

Unübersehbar ist, dass der Neue im Vorstand seine Agenda verfolgt. So beantragte er, dass die SGG die «Stopp Gender-Gaga»-Initiative der Jungen SVP finanziell unterstützt («Woke-Wahnsinn jetzt stoppen»).

Ausserdem befand Kallay, der Verein solle sein Vermögen auch in Rüstungskonzerne, Erdöl- und Tabakindustrie investieren. «Der SGG sind durch ihre Anlagestrategie Millionen entgangen», begründet er das Ansinnen.

Als Flüchtlingskind aus Ungarn gekommen

Womit die Sache bei des Pudels Kern angelangt ist: Es geht auch ums Geld. Die SGG sitzt auf über 100 Millionen Franken Cash. Die Streitparteien werfen einander vor, die SGG schröpfen zu wollen. So soll Kallay ein Tageshonorar von 3000 Franken gefordert und für eine finanzielle Auswertung der SGG 12'000 Franken verlangt haben. Gegenüber SonntagsBlick macht er kein Geheimnis aus den genannten Summen – er sei schliesslich dabei, um finanzielles Fachwissen in der SGG einzubringen. Ausserdem wären die 3000 Franken laut Kallay an seine Firma geflossen, nicht an ihn persönlich. «Wenn ich nicht arbeite, dann verdiene ich nichts», sagt er. «Das ist nicht so wie bei den jungen Leuten, die irgendwelche Thinktanks gründen, aber eigentlich keine Ahnung vom Leben haben.»

Er sei ein Flüchtlingskind, als Bub sei er mit seiner Familie in einem Kleinwagen aus Ungarn hierhergekommen, «mit nichts», wie er sagt. «Ich habe meine ganze Existenz selber aufgebaut.»

Ihn als rechtsradikal hinzustellen, wie es einige Gegner machen, sei «lächerlich», sagt er. «Mir geht es nicht um einen Putsch, ich will die bisherige Führung nur um ein paar Köpfe erweitern, die politisch anders stehen und dringend nötige Kompetenz einbringen.»

Und er betont: Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59), die bis vergangenes Jahr im SGG-Vorstand sass, mag er «sehr». «Mit ihr als Präsidentin könnte ich bestens leben», das habe er ihr erst kürzlich persönlich gesagt. Und Forster? Na ja. Der habe seine Buddys in die SGG geholt und brauche den Laden als Vehikel für seinen Wahlkampf.

Das Rütli wird zur weltanschaulichen Kampfzone. Der Riese erwacht mit lauten Nebengeräuschen.

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