Das Jahr 2020 wird als Annus horribilis in die jüngere Geschichte eingehen, so viel ist klar. Welche Kosten dieses Schreckensjahr aber im unmittelbar betroffenen Bereich, im Gesundheitswesen, bewirkt, blieb bislang im Dunkeln.
Jetzt hat sich der Krankenkassenverband Santésuisse erstmals an eine Schätzung herangewagt. Das Ergebnis liegt SonntagsBlick vor. Die Versicherer sollten es wissen, landen doch die Rechnungen der Corona-Pandemie bei ihnen.
Konservative Schätzung
Gemäss Branchenverband sind es mindestens 550 Millionen Franken, die Covid die Krankenkassen – und damit die Schweizer Prämienzahler – unmittelbar kostet. Dabei wurde konservativ geschätzt. Eine Detailrechnung könnte laut den Autoren höher ausfallen. Nicht einbezogen wurden die Beträge, die Kantone und Bund zahlen.
Für ihre Berechnung haben die Santésuisse-Leute folgende Faktoren berücksichtigt:
- Erstens 130 Millionen Franken für die erste Welle. Dies ergaben gemeinsame Berechnungen des Bundesamts für Gesundheit und der Versicherer. Die Summe setzt sich zusammen aus 50 Millionen für die stationären und 80 Millionen für ambulante Behandlungen inklusive Tests.
- Zweitens die Kosten von 180 Millionen für stationäre Behandlungen der rund 14'000 schwer erkrankten Patienten von Ende Juni bis heute.
- Drittens weitere ambulante Kosten in Höhe von 40 Millionen Franken, darunter Ausgaben für symptomlindernde Medikamente, ambulante Untersuchungen vor einer Hospitalisierung oder von Patienten, die für eine Nachkontrolle zum Arzt gehen. Der Verband geht dabei zwischen Juni und Dezember von rund 400'000 positiven Fällen aus.
- Viertens dürften 200 Millionen Franken Impfkosten hinzukommen. Laut Santésuisse ist dieser Betrag zurückhaltend geschätzt, da der Preis einer Impfung noch nicht definitiv vereinbart ist.
Wie sind diese Summen einzuordnen? Droht nach dem Schrecken der Pandemie nun auch noch ein Prämienschock?
«Es sind natürlich erhebliche Kosten, die anfallen», sagt Christoph Kilchenmann. Doch dem Santésuisse-Chefökonomen ist es wichtig zu betonen, «dass es wegen Corona zu keinen Prämienerhöhungen kommt». Deshalb seien Reserven zentral. «So sind diese Kosten für die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler verkraftbar. Sie dürfen darauf zählen, dass nach überstandener Krise nicht noch zusätzliche Corona-Kosten anfallen.»
Versicherungen sitzen auf 10 Milliarden Franken
Wenn Santésuisse-Vertreter auf Reserven hinweisen, ist das kein Zufall – in Bern läuft derzeit ein Verteilkampf um diese Gelder.
Die Versicherungen sitzen auf gut zehn Milliarden Franken, die sie über Jahre hinweg durch die Differenz von Prämieneinnahmen und tatsächlichen Kosten angehäuft haben. Die Regierung will die Kassen nun zu einem Abbau dieser Polster veranlassen. Der zuständige, äusserst wirkungsbewusste Bundesrat Alain Berset (48) will nicht auch noch als Minister der Prämienexplosion in Erinnerung bleiben.
Im Corona-Jahr sollen alle Versicherten durch milde Prämienentwicklung von diesen Reserven profitieren, begründen Bersets Mitarbeiter eine entsprechende Verordnung. Dazu hat der Bund eine Vorlage gezimmert. Die Vernehmlassung zu deren Entwurf läuft am 18. Dezember ab. Ab Juni 2021 soll sie gelten.
Verzicht auf nicht dringende Operationen beeinflusst Kosten
Die im Parlament bestens verankerte Versicherungsbranche wehrt sich vehement gegen diese Pläne: Gerade dank der Reserven, so argumentiert etwa Santésuisse-Direktorin Verena Nold, könne man auf eine Prämienerhöhung wegen Corona verzichten. Ein Abbau der Reserven hätte spätere Erhöhungen zur Folge.
Verglichen mit anderen Sozialversicherungen wie AHV oder Unfallversicherung liege zudem das Verhältnis zu den jährlichen Ausgaben im moderaten Rahmen, so der Kassenverband.
Die Kostenschätzung von Santésuisse indes muss isoliert betrachtet werden. Für eine Gesamtrechnung müsste der Aufwand berücksichtigt werden, der durch Verzicht auf nicht dringende medizinische Eingriffe entfallenen ist. Wie viele davon lediglich aufgeschoben sind, ist schwer zu erfassen.
Bei dritter Welle würde es noch teuer
Genauso wenig eingerechnet sind – wie erwähnt – die übrigen Gesundheitskosten, die etwa beim Bund oder den Kantonen anfallen.
Von den Kosten einer allfälligen dritten Welle ganz zu schweigen. Leider ein denkbares Szenario.