Satanisten-Theorie mit verheerenden Folgen
Wie Psychiater Hilfesuchende kränker machen

Unter Schweizer Traumatherapeuten macht sich eine Satanisten-Verschwörung breit. Wir wollten wissen, warum. Und wie sich das auf die Patienten auswirkt. Der Verschwörungsexperte und Psychiater Frank Urbaniok ordnet ein.
Publiziert: 19.11.2023 um 16:04 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2023 um 21:35 Uhr
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Gewissen Traumatherapeuten glauben, dass ihre Patienten von einem satanistischen Geheimbund entführt und missbraucht worden sind. Ein Verschwörungsglaube.
Foto: shutterstock
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Seit zwei Jahren machen Enthüllungen über eine krude Verschwörungsgeschichte Schlagzeilen: Ein geheimer Satanistenzirkel würde Kinder missbrauchen und Babys während schwarzer Messen töten. Die Täter würden mit angeblicher Gedankenkontrolle arbeiten, ihre Opfer so manipulieren. Der Glaube an die Existenz dieser Technik und angeblich «rituellem Missbrauch» hat sich auch bei einem angesehenen Berner Psychiater festgesetzt. SonntagsBlick deckte gerade auf: Dieser beeinflusste eine ehemalige Patientin so stark in diese Richtung, dass es ihr immer schlechter ging. Gelitten hat auch eine Frau aus dem Berner Oberland, ihre Tochter war Patientin bei ihm. Die Mutter sagt: «Er hat uns unsere Tochter genommen.»

Fehltherapien in Schweizer Psychiatrien

Es ist ein weiterer Tiefpunkt in einer nicht enden wollenden Gruselodyssee. Die drei Psychiatrien Münsingen BE, Meiringen BE und Littenheid TG mussten bereits Konsequenzen ziehen, weil die Verschwörungstheorie in die Behandlung einfloss. Das alles ist kein Zufall, weiss Frank Urbaniok (61). Der Psychiater und Gutachter hat mit Opfern von solchen Fehltherapien gesprochen, er sagt: «Die Psychiatrie ist besonders anfällig dafür.» Eine von SRF zitierte Masterarbeit der Universität Bern stützt das: 600 Patientinnen sind wegen angeblicher Gedankenkontrolle behandelt worden. Dies gaben 70 befragte Therapeutinnen und Therapeuten an, die von sich aus an der Online-Umfrage teilnahmen, also vermutlich an die Verschwörung glauben.

Frank Urbaniok sagt: «Ein Einfallstor für solche Phänomene schuf Sigmund Freud.» Mit der Vorstellung, dass der Mensch schwierige Dinge ins Unbewusste verdrängt – und nichts mehr davon weiss. So können Therapierende ihren Patientinnen und Patienten realitätsferne Erinnerungen einpflanzen. Ein Mittel dazu ist in der Fachwelt bekannt: die Suggestion. Die Psychiater lenken die Patienten mit subtilen Andeutungen in Richtung der Verschwörungstheorie. Oder mit Fragen, die schon anklingen, was die Ärzte bestätigt haben wollen. Das Problem: Psychisch schwer angeschlagene Patienten sind empfänglicher dafür als andere.

Betroffene beschreiben es laut Frank Urbaniok so: Anfangs klingt, was der Psychiater andeutet und sagt, suspekt. Je länger es dieser vertiefe, desto selbstverständlicher werde es. Hinzu komme: Patientinnen schilderten ihren Therapeuten teils Ereignisse, die nie geschahen, oder schmückten Erzählungen aus – alles, um die Erwartungen zu erfüllen. Die Folge dieser Therapie: «Die Patienten werden immer kränker.»

Die Schweiz guckt hin, Deutschland weg

All das ist kein Schweizer Problem. In Deutschland hat der «Spiegel» Ähnliches aufgedeckt. Doch hinkt die Debatte unserer weit hinterher. Vergangenen Mai veröffentlichten dort Fachverbände ein Positionspapier, darunter der grösste Psychiater- und Psychotherapeutenverband DGPPN. Das Thema: «ritueller Missbrauch». Der Inhalt: krude Aussagen. Patienten würden von religiös und ideologisch geprägten Gewaltritualen berichten, von Manipulationen und Konditionierungen durch Gewalt im Rahmen «organisierter Kriminalität». Die Psychotherapeuten «in ihrer grossen Mehrheit» würden die Berichte als «nachvollziehbar und schlüssig einstufen». Aus dem Fehlen eines vollen Beweises dürfe niemals auf die Nicht-Existenz eines Phänomens geschlossen werden.

Frank Urbaniok widerspricht vehement: «Gegenüber wirklichkeitsfremden Szenarien muss man skeptisch sein.» Bei schwerwiegenden und unwahrscheinlichen Anschuldigungen und Erzählungen seien die Anforderungen an Belege besonders hoch. Wenn es keine solche gebe, müsse man besonders vorsichtig sein.

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