Proteste in Frankreich und Deutschland
Streiks, kein Staatsbesuch und die Schweiz

Die Schweiz hat das CS-Debakel und den Paradeplatz, die Nachbarländer Proteste: In Frankreich und Deutschland spielen sich derzeit massive Arbeitskämpfe ab.
Publiziert: 26.03.2023 um 00:45 Uhr
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Mehr als eine Million wütender Menschen protestierte letzten Donnerstag in Paris gegen die Rentenreform.
Foto: imago/Le Pictorium
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Camille KündigRedaktorin SonntagsBlick

Es sollte sein allererster Staatsbesuch als König werden: Wie vor ihm schon seine Mutter mit Georges Pompidou (1911–1974), hätte Charles III. (74) im Schloss von Versailles mit Frankreichs aktuellem Präsidenten Emmanuel Macron (45) dinieren wollen.

Der Monarch und der «monarque républicain», wie die Opposition Macron betitelt, hätten im Palast des letzten französischen Königs die Freundschaft ihrer Nationen zelebriert und sich über aktuelle Stressfaktoren ihrer Ämter ausgetauscht: den Knatsch der Familie Windsor einerseits, monatelange Proteste gegen eine Rentenreform andererseits.

Dann aber weigerten sich die Mitarbeiter der zuständigen Mobiliarverwaltung, für den Empfang im Elysée den roten Teppich auszurollen, während sich wegen eines Müllarbeiter-Streiks die Abfälle auf den Pariser Trottoirs türmen.

Am Donnerstag flogen Tränengasgranaten und Gummischrot durch die Avenuen, mehr als eine Million wütender Bürger protestierten gegen die Reform, Hunderte wurden verletzt. In Bordeaux setzten Demonstranten sogar das Rathaus in Brand.

Macron zog Uhr aus und kriegt Schelte

Also wurde das Treffen der beiden Herrscher verschoben: Pracht, Prunk und Regenten in festlicher Stimmung, während das Land brennt – ungünstiger hätten die Bilder nicht ausfallen können.

Ein Fauxpas wurde vermieden, ein anderer nicht: Seit Ende Woche gehen Clips viral, die zeigen, wie Macron während eines TV-Interviews seine Uhr ablegt. Prompt warf man ihm in den sozialen Medien vor, das teure Stück vor den Einkommensschwachen verstecken zu wollen. Es ist nicht leicht, Präsident zu sein.

Die Wut der Strasse zog er auf sich, weil seine Regierung vor wenigen Tagen die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre durchgedrückt hatte – ohne Zustimmung des Parlaments. Auch gestern gingen die Proteste weiter. Der nächste grosse Streik ist für Dienstag geplant.

Anderes Land, ähnliche Motive: In Deutschland wird morgen ein beispielloser Warnstreik das öffentliche Leben stilllegen. Die Gewerkschaften kämpfen für Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst und lassen die Muskeln spielen – sie setzen dabei auf volle Eskalation: Bahnen, Busse, Flugzeuge, Schiffe und Autobahntunnel dürften betroffen sein.

Schweizer und Ösis streiken kaum

In der Schweiz ist es derweil ruhig. Zwar schreckt das CS-Debakel die internationale Wirtschaft auf, treibt aber gerade mal 500 Protestierende auf den Zürcher Paradeplatz: Die Schweiz ist keine Streiknation. Pro 1000 Angestellten und Jahr wurde hier von 2006 bis 2015 nur zwei Arbeitstage lang gestreikt.

Vergleiche zeigen, dass kein Volk so selten die Werkzeuge niederlegt wie wir und die Österreicher. «In der Schweiz sind wir gewohnt, Probleme durch Gespräche zu lösen, statt zu Kampfmassnahmen zu greifen», sagt Hansjörg Schmid, Sprecher des Arbeitnehmerverbands Angestellte Schweiz. Eine Tradition, die wir seiner Meinung nach zu grossen Teilen der direkten Demokratie verdanken: «Wir sind viel mehr in politische Anliegen eingebunden und können anhand von Initiativen und Referenden Dinge verändern. Umso weniger stauen sich in der Bevölkerung Frustrationen an.»

In Deutschland und Frankreich hingegen ist auf allen Ebenen Verbitterung zu spüren. Allerdings unterscheiden sich auch die Streikkulturen beider Länder: In Frankreich wird fünfzehnmal häufiger die Arbeit niedergelegt als in Deutschland – und es kommt dabei erheblich öfter zu Gewaltausbrüchen.

Die «Bild»-Zeitung titelte angesichts des morgigen Megastreiks: «Bitte nicht so wie in Frankreich!»

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