Alt CVP-Bundesräte weibeln für EU-Deal
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Leuthard und Deiss:Alt CVP-Bundesräte weibeln für EU-Deal

Doris Leuthard und Joseph Deiss
Alt CVP-Bundesräte weibeln für EU-Deal

Ein neues Komitee will die Kräfte für ein Rahmenabkommen bündeln. Dabei sind Parlamentarier aller Parteien ausser der SVP – und zwei prominente Ex-Magistraten.
Publiziert: 27.02.2021 um 16:51 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2021 um 08:48 Uhr
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Alt Bundesrätin Doris Leuthard ist mit von der Partie, ebenso wie ...
Foto: AP
Reza Rafi

Ein ungelöstes Rätsel begleitet die Europadebatte: Wo sind die Befürworter des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU? Von der Sozialdemokratie bis zum Freisinn geben derzeit die Gegner des «Insta» den Ton an. Flankiert werden sie von neuen Formationen wie die Allianz Kompass/Europa oder die Unternehmervereinigung Autonomiesuisse. Neinsager im Business Look. Ohne Parteibuch, aber mit fettem Handelsregistereintrag.

Kompass-Initiant Alfred Gantner (52), milliardenschwerer Co-Gründer des Zuger Vermögensverwalters Partners Group, füllt ein politisches Vakuum. Das entstand durch die Vogel-Strauss-Politik des Bundesrats, durch die Selbstblockade der Parteien – und durch die Angst vor dem Volk. Das Totsagen des Abkommens ist der neue Volkssport in Bundesbern; im siebten Jahr nach dem Verhandlungsstart scheint der Rahmenvertrag so begehrenswert wie ein Kuss von Jean-Claude Juncker.

Das Ja-Lager, das formell doch eigentlich den Support der Landesregierung hätte und sich auf ein mehrfaches Bekenntnis des Souveräns zum europapolitischen Weg des Bundes stützen könnte, ist zum Phantom verblasst.

Bis jetzt.

Progresuisse will künftig mitmischen

Nach Monaten des Stillstands entsteht auf der Befürworterseite eine neue Kraft: Diese Woche hat ein über 60-köpfiges, bunt gemischtes Team aus Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik die Bewegung mit dem Namen Progresuisse ins Leben gerufen. Am Sonntag gehen die Initianten an die Öffentlichkeit.

Ausstattung und Auftritt geben senden den Anspruch aus: Progresuisse will künftig in der Debatte mitmischen. Die Kernaussage der Truppe: Ein Rahmenabkommen hat seinen Preis. Kein Rahmenabkommen hat aber auch seinen Preis, und der ist höher.

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Man will «den konstruktiven Kräften» eine Stimme geben, heisst es auf der Website, «die für stabile und dauerhafte Beziehungen zur EU stehen». Progresuisse versteht sich «als konstruktiver Akteur», um einen Beitrag zur Debatte über das Rahmenabkommen zu leisten.

Zu den prominenten Namen aus der Wirtschaft gehören Aktienrechtler Peter Forstmoser (78), der CEO der schweizerisch-amerikanischen Handelskammer Martin Naville (61), Digital-Expertin Stephanie Züllig (46), Ex-Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer (61), Bucher-Verwaltungsratspräsident Philipp Mosimann (66), Unternehmerin Karin Lenzlinger (61), Ypsomed-CEO Simon Michel (44) oder Privatbankenpräsident Yves Mirabaud (54).

Ein dickes Portmonee alleine reicht nicht aus

Aus der Wissenschaft sind bis dato die Rektoren der Universitäten Zürich, Bern und St. Gallen an Bord, aber auch Astrid Epiney (55), Europarechtlerin und Rektorin der Uni Freiburg. Epineys Fachkollegin Christa Tobler (60) ist ebenfalls dabei. Vor allem aber sind über den Think-Tank Reatch auch Studierende und Nachwuchsforscher mit von der Partie. Einer davon ist Joel Lüthi (28), Biologie-Doktorand an der Universität Zürich. Sein Antrieb ist die Sorge um die Vernetzung des Schweizer Forschungsstandorts in Europa. «Forschung ohne Kooperation ist wie ein Computer ohne Internet: Viel ungenutztes Potenzial», sagt Lüthi.

Der Zusammenschluss mit Studenten und Nachwuchsforschenden ist nicht zu unterschätzen: Will man die Bevölkerung gewinnen, reicht ein dickes Portmonee alleine nicht aus, solange man das Bild eines Old Boy Network abgibt.

Ausser der SVP sind alle Parteien vertreten

Aufhorchen lässt die Liste der Parlamentsmitglieder, die zu Progresuisse gestossen sind: Ausser der SVP sind alle Parteien vertreten. Mit der grünliberalen Nationalrätin Tiana Angelina Moser (41) und FDP-Ständerat Damian Müller (36) sind die Präsidenten der beiden Aussenpolitischen Kommissionen an Bord.

Mit den Nationalräten Eric Nussbaumer (60), Yvonne Feri (54), Fabian Molina (30) und Ständerat Daniel Jositsch (55) kommen die «Euroturbos» der SP aus der Deckung – was die Zerreissprobe in der Partei weiter befeuern dürfte: Gewerkschaftsführer Pierre-Yves Maillard (52) hat bereits Totalopposition gegen das «Insta» angekündigt. Und eine Fraktionskollegin tönt wie Christoph Blocher, wenn sie über das Vertragswerk spricht.

Dass die Nationalratsmitglieder Doris Fiala (64), Christa Markwalder (45), Hans-Peter Portmann (58) und Regine Sauter (54) von der FDP mitmachen, überrascht kaum. Auffallend ist hingegen die Teilnahme des ehemaligen Parteipräsidenten Philipp Müller (68) – ein deutliches Signal an seine Nachfolgerin Petra Gössi (45), die sich derzeit vorsichtig bedeckt hält.

Von den Grünen hat sich der Berner Stapi Alec von Graffenried (58) angeschlossen, aus der Mitte-Fraktion Elisabeth Schneider-Schneiter (57) und BDP-Nationalrat Lorenz Hess (59).

Kein Geld vom Wirtschaftsdachverband

Eine treibende Kraft hinter dem Projekt ist der Berner Kommunikationsberater Lorenz Furrer (52), Co-Gründer der in der Bundesstadt omnipräsenten Agentur Furrerhugi. Ist das Ganze bloss ein PR-Gag gewiefter Spin Doctors? Mitnichten, wie Furrer gegenüber SonntagsBlick betont. Es gehe ihm um die Sache. «Wir haben keinen Auftraggeber. Das Projekt entstand in vielen Gesprächen, es hat also viele Mütter und Väter.» Und: Auch wenn Economiesuisse die Initiative begrüsst, habe man weder vom Wirtschaftsdachverband noch von anderen Verbänden einen Rappen erhalten. «Budget haben wir noch kaum, zweimal 10'000 Franken von zwei Gründungsmitgliedern. Wir sind also der ganz kleine David vor zwei immensen Goliaths», sagt er in Richtung Kompass/Europa und Autonomiesuisse. Die grösste Freude sei, «wenn wir rasch ganz viele Mitglieder haben bei progresuisse».

Furrers grösster Coup ist das Engagement der beiden ehemaligen CVP-Bundesräte Joseph Deiss (75) und Doris Leuthard (57). «Wir brauchen ein Rahmenabkommen, um den Marktzugang abzusichern und den bilateralen Weg zu festigen und weiterzuentwickeln», sagt die Ex-Magistratin zu ihrem Entscheid, mitzumachen.

Der Positionsbezug von Deiss und Leuthard ist pikant: Im September bezeichnete Mitte-Präsident Gerhard Pfister (58) das Abkommen in den Tamedia-Blättern als die «grosse Lebenslüge» der Bundesräte: «Es hat noch nie gelebt!»

Europagraben zieht sich quer durch die Parteien

Ein anderes ehemaliges Regierungsmitglied, das sich wie Leuthard in die Debatte einmischt und die eigene Partei brüskiert, ist Johann Schneider-Ammann (69), ihr Nachfolger an der Spitze des Volkswirtschaftsdepartements: In einem Gastbeitrag in der «NZZ» zog er im September gegen den «unausgewogenen Entwurf» des Abkommens vom Leder und monierte den «Souveränitätsverlust» wegen der Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Streitbeilegung.

Der Europagraben zieht sich, mit Ausnahme der SVP, durch alle Bundesratsparteien.

Es ist indes nicht nur die Souveränitätsfrage, die vielerorts Kopfschmerzen bereitet. Der Streit um den Lohnschutz, der mögliche Anspruch von EU-Bürgern auf den Schweizer Sozialstaat sowie die Diskussion um die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Einrichtungen sind die drei Punkte, bei denen Unterhändlerin Livia Leu Agosti (60) in Brüssel «Präzisierungen» herausholen muss. Ob ihr das gelingt, wird erheblichen Einfluss auf die weitere Debatte haben.

Für Progresuisse gilt aber: Das schlechteste Szenario besteht darin, wenn die Schweiz den Marktzugang zum EU-Raum verliert.

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