Pädagogen ächzen unter der Pandemie – zulasten der Schüler
Wie Corona die Lehrer aussaugt

Lehrpersonen stehen durch Corona vor grossen Schwierigkeiten: Erst Fernunterricht, dann die vielen Schutzmassnahmen im Klassenzimmer – nicht alle kommen damit gut zurecht.
Publiziert: 09.05.2021 um 11:26 Uhr
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Die Umstellung habe viele Lehrpersonen physisch und psychisch belastet, sagt Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, kurz LCH.
Foto: Keystone
Dana Liechti

Nach der Pause wollen vierzig Hände gewaschen werden. Das Zimmer muss gelüftet sein. Und wehe, ein Schüler trägt die Maske nicht richtig!

Die Pandemie hat den Alltag von Lehrerinnen und Lehrern drastisch verändert. Zuerst – im letzten Frühling – war da der Fernunterricht, eine noch nie da gewesene Herausforderung.

«Nur dank des ausserordentlichen Einsatzes der Lehrpersonen konnte der Unterricht trotz allem weitergeführt werden», sagt Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, kurz LCH. Die Umstellung habe aber auch viele Lehrpersonen physisch und psychisch belastet.

Nicht zuletzt wegen der intensiveren Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln kam es verstärkt zu Belästigungen und Bedrohungen gegenüber Lehrpersonen – vor allem von älteren Schülerinnen und Schülern. Zwar beobachte man dieses Phänomen schon länger, so Schwendimann weiter. Die Pandemie habe die Problematik an den Schulen aber noch verschärft: «Der Ton in Gesellschaft und Politik ist in den letzten Jahren rauer geworden, Konflikte eskalieren öfter und schneller. Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung macht vor den Schulen nicht halt.» Nun will der LCH eine Studie zum Thema durchführen.

Mehr Aufwand, mehr Probleme

Noch heute kämpfen viele Lehrkräfte mit den erschwerten Bedingungen im Schulalltag. Denn Corona verstärkt alle Probleme, auch die Folgen der hohen Arbeitsbelastung und den wachsenden Organisationsaufwand.

Da müssen Kinder, die in Quarantäne gehen, mit Lernaufträgen ausgestattet werden. Die Planung von Schulausflügen ist zum Teil extrem erschwert. Auch die wechselnden Strategien zur Bekämpfung der Pandemie, wie etwa die Einführung von Massentests, machen das Leben der Pädagogen nicht einfacher.

«Manchmal bekommen wir fast den Eindruck, dass es vonseiten der Behörden als selbstverständlich betrachtet wird, dass wir Lehrkräfte das alles mitmachen», sagt Alessandro Mazza, Schulleiter und Lehrer aus dem Kanton Bern. Das sei zuweilen belastend.

Auch das pädagogische Kerngeschäft – das Unterrichten – kommt momentan zu kurz. So geht etwa das Händewaschen nach der Pause, für das oft nur ein Brünneli pro Klasse zur Verfügung steht, zulasten der Unterrichtszeit. «Die Lektionen werden enger, der Unterrichtsstoff aber bleibt derselbe», sagt Mazza. «Manche Lehrpersonen stresst es enorm, wenn sie es nicht schaffen, den ganzen Stoff durchzugehen. Sie sorgen sich um die Lernfortschritte der Kinder.»

Fehlende Nähe

Die Beziehung zwischen Lehrkräften und Kindern leidet unter der durch die Masken reduzierten Mimik, der fehlenden Nähe und dem Wegfallen von Höhepunkten wie Klassenlager, Sporttagen oder Schulreisen. Dabei machten genau die für viele Lehrpersonen den Beruf so erfüllend. Umso wichtiger sei es, mit den Kindern auch mal etwas Überraschendes, Spielerisches zu unternehmen. «Letzthin habe ich mit meiner Klasse zum Beispiel Lotto gespielt. Die Kinder hatten so Freude, das war für uns alle ein schönes Erlebnis», sagt Mazza.

Während viele Lehrpersonen versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, ist sie für andere nur schwer zu ertragen. Manche Lehrerinnen und Lehrer leiden sogar so sehr, dass sie krank werden.

«Die grosse Belastung des vergangenen Jahres und die nach wie vor herrschende Unsicherheit fordern natürlich ihren Tribut», sagt Lucius Hartmann, Präsident des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer. «Viele Lehrpersonen sind erschöpft. Gefühlt fallen bei uns mehr Lehrpersonen aus.»

Sei es wegen der Quarantänebestimmungen, einer Corona-Infektion oder aufgrund psychischer Erschöpfung: In der Pandemie müssen Schulleitende vermehrt Stellvertretungen für ihre Lehrkräfte suchen. Aufgrund des Mangels geeigneter Kräfte kein einfaches Unterfangen. Oft übernehmen dann Lehrpersonen aus dem gleichen Schulhaus die Vertretung – was bei diesen wiederum zu einer grösseren Belastung führt.

Stellvertretungen ohne Erfahrung

Gleichzeitig übernehmen mehr Studierende kurzfristige Stellvertretungen – etwas, was sehr gut funktioniere und wovon alle Beteiligten profitieren, wie diverse pädagogische Hochschulen versichern. Und im Notfall stellt man dann eben Personen ohne pädagogische Erfahrung vor die Klasse.

Die Ausnahmesituation hat allerdings auch positive Seiten: Sie habe zum Beispiel im Kanton Bern dazu geführt, dass gut funktionierende Stellvertretungs-Netzwerke gegründet wurden, sagt Alessandro Mazza. Auch sonst kann der Lehrer der Krise Gutes abgewinnen: Die Digitalisierung in den Schulen habe einen Schub erlebt – und man habe im Bereich Krisenmanagement viel gelernt: «Jetzt sind wir besser vorbereitet auf allfällige zukünftige Krisen», sagt Mazza.

Mittlerweile sorgen auch die vielerorts eingeführten Massentests für eine gewisse Entspannung an den Schulen, weil dadurch Quarantänemassnahmen heruntergefahren werden können.

Die Aussicht auf baldige Impfung sorgt ebenfalls für Erleichterung. Einige Kantone haben denn auch auf die Forderung des LCH reagiert, Lehrpersonen als priorisierte Gruppe zu behandeln, darunter Bern.

«Da gab es schon ein Aufatmen im Kollegium», sagt Alessandro Mazza. «Schliesslich wollen wir endlich wieder normal unterrichten – ohne Masken, mit Ausflügen und einem festen Händedruck zur Begrüssung.»

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