Langeweile, Frust, Zukunftsangst – Jugendliche kämpfen mit den Auswirkungen der Pandemie. Das erleben Lehrerinnen und Schulpsychologen hautnah. «Die Jugendlichen sind angespannter als in normalen Zeiten», sagt Georg Berger, Präsident von Table Ronde der Berufsfachschulen Schweiz.
Und Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, weiss aus Erfahrungsberichten von Lehrpersonen nicht nur, dass manche Jugendliche durch den Fernunterricht den Anschluss verloren haben und es schwieriger ist, sie zu motivieren. «Schulpsychologie und Schulsozialarbeit melden auch stark gestiegene Fallzahlen zu Suchtverhalten und Gewalt», sagt er.
Arbeitslosigkeit bedrückt Jugendliche
Zudem beobachten etwa Gymnasiallehrkräfte, dass Jugendliche, die bereits vor der Krise psychische Probleme hatten, nun noch stärker leiden. «Und es gibt vermehrt Fälle von Jugendlichen, die in ihrem familiären Umfeld schwierige Situationen zu meistern haben», sagt Lucius Hartmann, Präsident des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer. An Covid erkrankte Eltern oder verstorbene Grosseltern zum Beispiel – oder Arbeitslosigkeit im engeren Umfeld.
Präsent ist bei den Jugendlichen auch die Furcht vor der eigenen Arbeitslosigkeit – oder davor, den Abschluss nicht zu schaffen. Auch weil sie in gewissen Branchen momentan keine oder nur wenig reale Arbeitserfahrungen sammeln können. «Dadurch erhöht sich die Nervosität der Jugendlichen, den Anforderungen des Qualifikationsverfahrens nicht gerecht zu werden», sagt Georg Berger von den Berufsfachschulen.
«Viele machen sich Sorgen um ihre Zukunft»
Schwierig ist die Lage auch für Schüler, die sich für einen Beruf entscheiden müssten und keine Schnupperlehre finden, ergänzt Beat A. Schwendimann. «Das stellt Jugendliche verständlicherweise unter Stress – viele machen sich Sorgen um ihre Zukunft.» Mit Folgen: «Erfahrungsberichte aus den Schulen erzählen von grösserer emotionaler Distanz, Verrohung, Vandalismus und Resignation.»
Das bestätigen auch verschiedene kantonale Schulpsychologische Dienste. So werden etwa in Zürich derzeit mehr dringende Fälle behandelt als in anderen Jahren – darunter eskalierende Situationen, in denen Schüler wegen ihres Verhaltens nicht mehr tragbar sind. Das habe oft mit zusätzlichen Belastungen durch die Pandemie in den Familien zu tun. Im Kanton Aargau sind die Schulpsychologen derweil nicht nur mit Jugendlichen konfrontiert, die die Schule schwänzen, sondern auch mit solchen, die Angststörungen und depressive Verstimmungen entwickelt haben.
Teenager werden mit Problemen alleine gelassen
Auch beim Schweizerischen Institut für Gewaltprävention, das auf Präventions- und Interventionsarbeit an Schulen spezialisiert ist, bemerkt man eine grössere Anspannung im schulischen Umfeld. Seit den erneuten Einschränkungen seien die Anfragen für Interventionen stark angestiegen, sagt Institutsleiter Thomas Richter. Aktuell gehe es dabei vor allem um Konflikt- und Gewaltsituationen sowie Unterrichtsstörungen.
Grund für die angespannte Gemütslage der Jugendlichen sei oft auch, dass ihnen Erwachsene fehlen würden, mit denen sie über ihre Ängste und Probleme reden und Lösungen entwickeln können: «Diesbezüglich werden Teenager oft überschätzt und alleine gelassen.»
Krawalle in St. Gallen heissen nicht alle Teenies gut
Erwachsene spielen oft auch dann eine Rolle, wenn Jugendliche Gewalt ausüben. Richter: «Spreche ich mit Eltern von Jugendlichen, die zum Beispiel durch Gewalt gegenüber der Polizei auffallen, merke ich, dass diese oft in die gleiche Richtung ziehen. Der Frust wird verstärkt, wenn wir Erwachsenen uns abschätzig über die Arbeit von Stellen wie dem Bundesrat oder der Polizei äussern.»
Gewaltausbrüche wie jene in St. Gallen vor einer Woche heissen aber nur die wenigsten Jugendlichen gut. «Bei allen meinen Schülerinnen und Schülern stiessen sie auf breites Unverständnis», sagt Lukas Nyffenegger, der an einem Gymnasium und mehreren Berufsmittelschulen unterrichtet. «Meine Klassen finden es schade, dass die Krawalle Jugendliche in ein so schlechtes Licht rücken.»
Die allermeisten Jugendlichen – darüber sind sich die befragten Fachpersonen einig – gehen denn auch trotz grosser Belastung geduldig mit der Situation um. Man tue den Jugendlichen unrecht, wenn man sie alle als Krawallmacher bezeichne, sagt Lukas Nyffenegger. «Für ihren Umgang mit der herausfordernden Situation müssten wir ihnen stattdessen ein Kränzchen winden.»