Schaffhauser Politiker sind sich parteiübergreifend einig: Der Rheinfall muss mehr Strom liefern! Dafür soll beim spektakulären Naturschauspiel künftig – insbesondere in der Nacht – kaum noch Wasser runterdonnern. Stattdessen würde es in ein grosses Kraftwerk umgeleitet.
Bereits heute produziert ein Wasserkraftwerk in Neuhausen am Rheinfall jährlich rund 40 Gigawattstunden Strom. Künftig sollen es bis zu 160 Gigawattstunden sein.
Um das möglich zu machen, muss aber zuerst das kantonale Wasserwirtschaftsgesetz geändert werden. Dieses verbietet aktuell nämlich zum Schutz der Rheinlandschaft den Ausbau der wirtschaftlichen Nutzung des Rheins.
Volk schickte Kraftwerk bachab
2015 versuchte der Schaffhauser Regierungsrat schon einmal, das Gesetz aufzuweichen. So wollte er einerseits den Rhein vor dem Rheinfall höher stauen können, aber auch den Bau eines zweiten Wasserkraftwerks am Rheinfall ermöglichen.
Doch das Volk verwarf die Pläne. Nach einem emotionalen Abstimmungskampf, bei dem Touristiker, Fischer und Umweltschützer mobil gemacht hatten, schickten 58 Prozent der Stimmberechtigten die Vorlage an der Urne bachab. Bei einer Stimmbeteiligung von 70 Prozent.
Jetzt, fünf Jahre später, ist das Thema trotz Volks-Nein wieder aktuell. Das Wasserwirtschaftsgesetz soll nun so geändert werden, dass das bereits bestehende Wasserkraftwerk in Neuhausen markant ausgebaut werden kann.
Besonders kritisch: Nachts soll der Rheinfall ganzjährig auf die absolute Mindestabflussmenge von 200 Kubikmetern pro Sekunde gedrosselt werden – damit möglichst viel Wasser vom Rhein durch das Kraftwerk läuft. Zum Vergleich: Im Hochsommer rauschen im Schnitt rund 600 Kubikmeter pro Sekunde den Rheinfall hinunter.
Rheinfall-Landschaft bereits verschandelt
Diesmal will man das Volk erst gar nicht zu diesen Plänen befragen. Der Kantonsrat dürfte in einer seiner nächsten Sitzungen dem Vorhaben grünes Licht geben. Keine Partei hat Widerstand angekündigt.
Es gibt aber bereits beissende Kritik am Vorhaben – etwa von Walter Leu (87). Der ehemalige Direktor der Schweizerischen Verkehrszentrale, heute Schweiz Tourismus, hält die Pläne der Schaffhauser Regierung für einen Skandal: «Die wollen aus dem Rheinfall ein Rinnsal machen!»
Notfalls gehe er trotz seines Alters auf die Strasse und protestiere für den Schutz des Rheinfalls, so Leu zu BLICK. Man habe schon in der Vergangenheit zu viele Bausünden am Rheinfall zugelassen, um das Maximum aus dem Naturspektakel herauszuholen. «Wir können dieses Naturdenkmal von internationaler Ausstrahlung nicht einfach auspressen wie eine Zitrone!»
«Ein schlechter Witz!»
In dieselbe Kerbe haut auch Raimund Rodewald (61), Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Auch er ist in Neuhausen am Rheinfall aufgewachsen. «Die Schaffhauser setzen ein Naturspektakel von internationaler Ausstrahlung aufs Spiel, bloss um noch mehr Profit daraus ziehen zu können», sagt er.
Insbesondere dass die Regierung nachts den Rheinfall aufs absolute Minimum reduzieren will, klinge wie ein schlechter Scherz. «Das entspricht einer komplett veralteten Auffassung von Natur- und Landschaftsschutz und kaschiert nur ein schlechtes Gewissen», so Rodewald. «Tagsüber soll der Rheinfall für die zahlenden Touristen rauschen und toben, nachts wird er dann zum Bächlein, damit die Energiewirtschaft ihren Profit daraus ziehen kann.»
Die Befürworter eines neuen Wasserkraftwerks reagieren heftig auf die Argumente der Gegner. Etwa der Neuhauser Lokalpolitiker der FDP, Peter Fischli (65). In einem Leserbrief echauffiert er sich über Walter Leus Forderung, beim Rheinfall eine «Denkpause» einzulegen. «Vielleicht haben Deine vielen Aufenthalte auf der koreanischen Halbinsel und in anderer totalitärer Umgebung in Nah- und Fernost auf Dich abgefärbt», schreibt er. Hintergrund: Walter Leu war lange Jahre Sekretär der parlamentarischen Gruppe Korea-Schweiz.
Das Volk will auch die Energiewende
Zu BLICK sagt Fischli, dass der Rheinfall schon immer von Menschen genutzt wurde. «Man muss jetzt nicht so tun, als ob es sich hier um unberührte Natur handle», sagt er. Ihm sei es auch wichtig, dass der Rheinfall immer schön und mächtig bleibe. Aber: «Alle Welt fordert erneuerbare Energien, die wir Schaffhauser vor der Haustüre produzieren könnten. Darüber muss man also nachdenken dürfen!»
Das sieht auch die Schaffhauser Kantonsregierung so. Zudem beruft sie sich auf eine andere Volksabstimmung: 2017 haben die Schaffhauser bei der nationalen Abstimmung zur Energiestrategie 2050 auch knapp Ja gesagt. Seither muss auch Schaffhausen das Potenzial erneuerbarer Energien im eigenen Kanton ausloten – und nutzen. Die Kraft des Rheinfalls ist da sehr gefragt.