Blick aus der Frontscheibe. Die Strasse ist leer, kein Polizeiwagen oder Blitzkasten in Sicht. Die Zahl auf dem Tacho schiesst in die Höhe. Was der Fahrer nicht weiss: Über ihm kreist eine Polizei-Drohne. So geschehen am Abend des 18. Juni 2022 im Kanton Thurgau.
Der Mann, der anonym bleiben möchte, soll gemäss der Kantonspolizei mit mindestens 137 km/h von Felben-Wellhausen nach Mettendorf gerast sein. In Mettendorf habe er gewendet. Auf der Rückfahrt durch die 80er-Zone erreichte er angeblich eine Geschwindigkeit von 175 km/h. Ein klares Raserdelikt. Sein Anwalt Stefan La Ragione (60) betont aber: «Es gilt die Unschuldsvermutung.» Den Führerausweis ist er gleichwohl los, wie das «Tagblatt» schreibt. Jetzt bangt der Garagist um sein Geschäft.
Waren die Drohnen-Aufnahmen echt?
«Ohne Führerausweis kann ich mein Geschäft schliessen», sagt er zum «Tagblatt». Er hadert und zweifelt, ob er tatsächlich derart schnell über die Strasse bretterte: «Das hätte ich doch merken müssen.» Sein Anwalt springt ihm zur Seite. Der gebürtige und kämpferische Appenzeller zweifelt die Drohnen-Aufnahmen an.
«Diese Methode ist unprofessionell und nicht zulässig», sagt La Ragione zu Blick. Und erklärt sogleich: «Die Drohne war nicht geeicht, wie das beispielsweise bei allen Blitzkästen der Fall ist – es fehlte eine amtliche Prüfung.» Zudem zweifelt er die geschossenen Bilder an. «Die Drohnen-Fotos in den Akten sind aus technischer Sicht nicht nachvollziehbar. Solche Aufnahmen könnten auch manipuliert sein.»
Zudem sei die Drohne sehr unkontrolliert umhergeflogen, wie Drittpersonen bestätigen können. Der Anwalt hinterfragt deshalb die Ausbildung des Polizisten: «Die Person, welche die Drohne flog, hat gemäss den Akten einen Kurs besucht. Aber welchen? Es könnte sich auch um einen Sprachkurs handeln.»
Drohnen-Art bleibt ein Geheimnis
Die Kantonspolizei Thurgau verweist auf die gesetzlichen Gegebenheiten in der Schweiz. Mediensprecher Matthias Graf schreibt auf Blick-Anfrage: «In der Schweiz ist derzeit keine besondere Ausbildung für den Einsatz von unbemannten Fluggeräten vorgeschrieben. Bei der Kantonspolizei Thurgau werden diese nur von einzelnen Spezialisten gesteuert.»
Der Einsatz von Drohnen zur Tempoüberwachung ist schweizweit aussergewöhnlich. Adrian Gaugler, Sprecher der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, ist kein Polizeikorps bekannt, der Temposünder mithilfe von Drohnen überführt.
Der Thurgauer Polizeisprecher Michael Roth erklärt diesen Umstand gegenüber dem «Tagblatt»: «Die Kantonspolizei Thurgau ist in dieser Thematik eine Vorreiterin.» Seit etwas mehr als einem Jahr setzten sie diese Methode sporadisch ein. Über die Drohnen-Art macht die Kapo Thurgau aus «ermittlungstaktischen Gründen» keine Angaben.
Anwalt ist genervt über die Verfahrensdauer
Gemäss Roth sind schon «verschiedene Verbrechen im Strassenverkehr mit dieser Technik festgehalten und angezeigt worden». Ein rechtskräftiges Urteil gebe es bis jetzt aber noch nicht. Entsprechend positiv gibt sich der Anwalt des Garagisten: «Ich sehe gute Chancen und habe das klare Ziel, dass mein Klient freigesprochen wird.»
Nebst der Drohnen-Thematik nervt er sich über die lange Verfahrensdauer. «Seit drei Monaten lebt mein Mandant ohne Führerschein. Erst am Donnerstagmorgen wurde die von meiner Seite verlangte öffentliche Parteiverhandlung bewilligt. Nach drei Monaten und mehrfachem Insistieren.»