Hier erscheinen Beschuldigter und Anwalt vor dem Gericht
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Prozess gegen Adnan T. beginnt:Hier erscheinen Beschuldigter und Anwalt vor dem Gericht

Tödlicher Streit am Bahnhof Flawil — Verteidiger von Adnan T. plädiert auf Notwehr
«Er darf sich wehren»

Der Fall schockierte die Region um Flawil SG im Spätsommer 2021: Ein Faustschlag und ein Sturz auf den Betonboden beendeten das Leben von Ruedi L.* (†57). Sein Kontrahent Adnan T.* gibt sich vor Gericht reumütig. Sein Anwalt hingegen fährt schweres Geschütz auf.
Publiziert: 19:12 Uhr
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Adnan T. ist mit seinem Anwalt auf dem Weg ins Gericht.
Foto: Sandro Zulian

Auf einen Blick

  • Prozess gegen Adnan T. wegen fahrlässiger Tötung und schwerer Körperverletzung
  • Staatsanwaltschaft fordert Gefängnis und Landesverweis
  • Anwalt plädiert auf Notwehr und will Freispruch
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandro ZulianReporter News

Eine ganze Schulklasse zwängte sich am Montag auf die Zuschauerplätze des kleinen Gerichtssaals, als Adnan T.* (43) am Kreisgericht Wil in Flawil SG der Prozess gemacht wird. Für die fahrlässige Tötung von Ruedi L.* und die schwere Körperverletzung soll Adnan T. knapp vier Jahre in den Knast, danach für zehn Jahre das Land verlassen. Dies fordert die Staatsanwaltschaft.

Gut 200 Meter weiter weg vom Gericht, am Bahnhof Flawil, passierte es am 28. August 2021 um kurz vor 1 Uhr: Ruedi L. (†57) wurde von Adnan T. mit der linken Faust auf dem Perron niedergeschlagen.

«Es ist mir jeden Tag präsent»

Beim Fall auf den Betonboden erlitt der betrunkene Mann einen Schädelbruch, einen Nasenbeinbruch und eine Hirnblutung. Vorausgegangen waren dem Streit verschiedene rassistische Beleidigungen an die Adresse des kosovarisch-stämmigen Adnan T. «Drecksausländer, Scheissausländer, Sozialhilfebetrüger, Junkie», soll Ruedi L. ihm angehängt haben – ausserdem habe Ruedi L. ihm über Meter hinweg nachgestellt. 

Die Fakten sind also klar: Ruedi L. hat provoziert, Adnan T. hat zugeschlagen. Doch wie man diese Fakten auslegt, ist eine andere Geschichte. Vor Gericht gab sich der Beschuldigte reumütig. «Mir tut die ganze Situation sehr leid. Ich bedauere es sehr, und es ist jeden Tag präsent», sagte er in seinem Schlusswort. «Ich entschuldige mich hiermit auch bei der Familie von Ruedi L.», sagt er. Er habe ihn nur «weghaben» wollen, nicht aber seinen Tod.

«Aus Wut gegen alles und alle gehandelt»

Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm das offenkundig nicht. «Die Tat war nicht weit von der vorsätzlichen Tötung entfernt», sagte der Staatsanwalt. Der Beschuldigte habe eine «erhebliche kriminelle Energie», denn sein Kontrahent habe ihn nur verbal provoziert.

Der mutmassliche Täter hätte wissen müssen, dass ein «alkoholisierter Mensch, auf Beton stehend» zu einer sehr gefährlichen Situation führen könne. Kurz: Adnan T. habe nicht aus Notwehr gehandelt. «Er handelte aus Wut gegen alles und alle.» Es hätten mildere Mittel zur Verfügung gestanden.

Deswegen sei es unabdingbar, dass Adnan T. erst ins Gefängnis und danach das Land verlassen müsse. Zehn Jahre Landesverweis erklärt der Staatsanwalt so: «Die schwere Körperverletzung ist eine Katalogtat für eine obligatorische Landesverweisung.»

«Er darf sich wehren, er muss nicht weichen»

«Ich habe noch nie einen Staatsanwalt eine Landesverweisung in einem Satz erklären gehört. Und dann noch in diesem», sagt David Gibor, der Strafverteidiger von Adnan T. Er verteidigt seinen Mandanten vehement. In seinem über zwei Stunden langen Plädoyer zeichnet er ein Bild des drogenabhängigen Adnan T., der mit seiner Sucht kämpft.

Gleichzeitig arbeite er hart – als Monteur und an sich selbst – und sei liebender Vater. In dieser Nacht habe er sich an die 20 Minuten lang anhören müssen, was er als «Schweizer ohne roten Pass» alles sei. Erst als die beiden vor einem Verkaufsautomaten am Bahnhof standen und Adnan T. keinen Ausweg mehr sah, schlug er «ein einziges Mal» zu, so sein Anwalt. 

Strafverteidiger Gibor war laut, fast schon furios – und griff die Staatsanwaltschaft mehrmals mit voller Breitseite an. «Er darf sich wehren. Er muss nicht weichen», erklärte er den Anwesenden die Notwehr. Seine Forderung: Freispruch für seinen Klienten. 

Nüchternheit versus Pomp

Als Beobachter fällt einem an diesem Gerichtsverfahren in Flawil SG vor allem eines auf: Wie wenig die Staatsanwaltschaft dem pompösen Plädoyer des Strafverteidigers – zumindest rhetorisch – entgegenzusetzen vermochte.

Der zweite Parteivortrag der Staatsanwaltschaft behandelte innert weniger Minuten lieblos ein paar Sätze, mit denen man nicht einverstanden war. Strafverteidiger Gibor verzichtete schon vorher demonstrativ auf ein zweites Plädoyer: «Ich habe alles gesagt.»

Ob das Plädoyer des Strafverteidigers das Gericht überzeugen kann, stellt sich in den kommenden Tagen heraus. Das Urteil fällt schriftlich, Blick vermeldet es, sobald es da ist. Es gilt die Unschuldsvermutung.

* Namen geändert 

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