Auf einen Blick
- Anwalt entkleidet sich wiederholt vor Assistentin
- Anwalt zivilrechtlich verurteilt
- Seine Firma muss 13'576 Franken Entschädigung zahlen
- Anwalt spricht erstmals mit Blick
- Assistentin glaubhaft, Anwalt widersprüchlich
- Entscheid noch nicht rechtskräftig
Die Bilder, die sich einer Assistentin im Jahr 2020 in einer renommierten St. Galler Anwaltskanzlei boten, dürfte sie so schnell nicht wieder vergessen. Immer und immer wieder hat sich der Anwalt vor seiner Assistentin im Büro nackt ausgezogen. Mehrmals solle der Chef auch seinen Penis angefasst und eindeutige Bewegungen gemacht haben.
Freispruch von der Ausnützung der Notlage
Trotz all dem sprach ihn das St. Galler Kreisgericht im Juni 2023 nicht schuldig. Angeklagt war der Mann damals wegen mehrfacher Ausnützung einer Notlage und Tierquälerei. Der Anwalt habe sich wohl ausgezogen, aber keine Notlage ausgenützt, so das Gericht. Denn Nacktheit sei nicht automatisch eine Straftat.
Wäre der Mann des Exhibitionismus oder der sexuellen Belästigung beschuldigt worden, wäre das Urteil möglicherweise anders ausgefallen. Dies hatte die Staatsanwaltschaft jedoch nicht angeklagt – wohl auch, weil die Frau ihre Anzeige dafür zu spät eingereicht hatte. So wurde der Blüttel-Anwalt freigesprochen.
Kleiner Sieg auf dem Zivilweg
Jetzt hat die ehemalige Assistentin des Anwalts doch noch einen Sieg errungen. Sie klagte auf dem Zivilweg die Firma des Blüttel-Anwalts ein – unter anderem wegen Verstosses gegen das Gleichstellungsgesetz (sexuelle Belästigung). Der Gerichtsentscheid liegt Blick vor. Und der Einzelrichter am Kreisgericht St. Gallen gab der Frau teilweise recht.
Die ehemalige Assistentin warf ihrem Ex-Arbeitgeber vor, dass bei ihm ein toxisches Arbeitsklima geherrscht habe. Er sei oft cholerisch, laut, aufbrausend und wütend gewesen. Hinzu kämen die bekannten Fälle der Nacktheit im Büro.
Die beklagte Anwaltskanzlei wollte im Zivilprozess davon nichts wissen. Das Arbeitsklima sei nicht toxisch gewesen, das Problem sei die schlechte Arbeitsleistung der Klägerin gewesen. Mit der Nacktheit sei die Mitarbeiterin einverstanden gewesen.
Richter glaubte der Assistentin
Doch der Richter glaubte der Assistentin. Mit seinen Nackt-Einlagen liege «eine Diskriminierung durch sexuelle Belästigung vor», so der Richter. Die Firma hafte für das Verhalten ihres Verwaltungsratspräsidenten. Das Nacktsein im Büro erfüllt für den Richter für Arbeitsrecht zweifellos den Begriff der sexuellen Belästigung, «da der Vorgesetzte seine Geschlechtsteile einer Mitarbeiterin zur Schau stellte».
Der Grossteil der Nackt-Vorfälle in der Anwaltskanzlei hätten, auch wenn die Klägerin keine problematische Einstellung zur FKK-Kultur habe, «keinen harmlos-kauzigen Nudismus-Charakter mehr, sondern die Vorfälle führten zu einem sexualisierten Arbeitsklima», so der Wortlaut im Entscheid.
Anwalt: «Wenn es sein muss, gehe ich bis ans Bundesgericht»
Auf Anfrage von Blick äussert sich der Anwalt ausführlich: «Die Mitarbeiterin lügt.» Es habe nie Nacktsitzungen gegeben. Er kritisiert den Einzelrichter unter anderem dafür, vor Ort keinen Augenschein genommen zu haben, um die Ausführungen der Klägerin zu überprüfen. Und: «Er hat es unterlassen, eine wichtige Zeugin zu befragen.»
Seine Firma wird das Urteil definitiv weiterziehen, sagt der Anwalt: «Wir werden in Berufung gehen, denn das ist schlicht eine stossende Verletzung des rechtlichen Gehörs, und willkürlich, nach dem Motto, ‹es muss ja etwas gewesen sein ›.» Für den Anwalt ist klar: «Wenn es sein muss, gehen wir bis ans Bundesgericht in Lausanne.» Der Klägerin und ihrem Mann gehe es nur um Abzocke und darum, den Ruf des anerkannten Anwalts zu schädigen.
Die ganze Geschichte habe dennoch einen wahren Kern, so der Anwalt: «Im Sommer 2019, vor der Anstellung bei mir, hatten sie und ich eine kurze Affäre, die ich zutiefst bereue, inzwischen aber längst mit der einzigen Person geklärt habe, mit der es das zu klären gilt: mit meiner Frau.»
Der Vertreter der Mitarbeiterin, Rechtsanwalt Mauro Müller, stellt gegenüber Blick klar, dass die von der Gegenpartei aus prozesstaktischen Gründen medienwirksam erhobenen Vorwürfe und Sachdarstellungen unzutreffend sind und entschieden zurückgewiesen werden. «Aufgrund des hängigen Rechtsmittelverfahrens wird zur Sache ausschliesslich im dafür vorgesehenen Rahmen Stellung genommen», so Müller.
Anwalt blüttelte gemäss Gericht schon früher
Gegen den nackten Anwalt spräche zudem, dass gegen ihn bereits 2009 wegen Exhibitionismus ein Strafverfahren lief, das allerdings wieder aufgehoben wurde. 2015 erstattete eine Mitarbeiterin eines Unterwäscheladens Anzeige wegen Exhibitionismus.
Dieses Verfahren endete in einem Vergleich – die Unterwäscheverkäuferin zog die Anzeige zurück, dafür musste sich der Beschuldigte einer «deliktorientierten Therapie» unterziehen. Diese Therapiesitzungen besuchte er gemäss Entscheid aber nie.
Diese beiden Fälle aus der Vergangenheit hätten zwar nicht direkt mit vorliegendem Fall zu tun, seien aber «ein Indiz dafür, dass die Schilderungen der Klägerin realen Erlebnissen entsprechen».
Assistentin glaubhaft, Anwalt widersprüchlich
Weiter argumentiert der Richter, dass die Ausführungen der ehemaligen Mitarbeiterin glaubhaft waren – die des Anwalts eher widersprüchlich und «wirkten einstudiert».
Die Firma des Blüttel-Anwalts muss der ehemaligen Assistentin jetzt eine Entschädigung wegen des Verstosses gegen das Gleichstellungsgesetz wegen sexueller Belästigung zahlen.
Insgesamt bekommt die Frau für den Anblick des nackten Vorgesetzten 13'576 Franken zugesprochen. Die Frau hatte weiter noch eine Genugtuung in Höhe von 1000 Franken gefordert. Diese wurde vom Einzelrichter aber abgewiesen.
Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.