Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt empfängt das dreifache Grosmami Anastasia Kühne-Gerolimatos Blick in Bad Ragaz SG. Sie besteht darauf, dass sie nicht 85, sondern 85½ Jahre alt ist. «Bei den Schweizern wird aufgerundet, bei den Griechen abgerundet», sagt sie. Darum mache sie es ganz genau.
Im lokalen Café fällt die schweizerisch-griechische Doppelbürgerin nicht auf. Laufend betreten hier Frauen älteren Semesters das Lokal, essen Kuchen und trinken Kaffee. Doch Kühne ist anders.
Auf dem Wasser fühlt sie sich wohl
Die Frau hält den Guinness-Rekord als älteste Windsurferin der Welt. 2019 stellte sie als 81-Jährige den Rekord auf. Damals schaffte sie es ins griechische «People Magazine» unter dem Titel «Windsurferin mit 81!». Jetzt, als wäre das nicht genug, will sie ihren eigenen Rekord noch einmal brechen.
Im Mai reist Kühne in ihr Heimatland. Dort wird sie ein griechisches Filmteam bei den Vorbereitungen auf ihren Weltrekord begleiten. Im August wird es dann ernst. In drei Etappen will das dreifache Grosi den Weg zwischen den beiden ionischen Inseln Kefalonia und Zakynthos zurücklegen. Das sind nicht weniger als 19 nautische Meilen – 35 Kilometer!
Die zweite und dritte Etappe folgen dann im September und Oktober. Am 16. Oktober feiert Kühne ihren 86. Geburtstag. Denn auf ihrer ersten Weltrekords-Urkunde steht bei ihrem Alter «80 Jahre und 313 Tage». Beim erneuten Rekord will sie «es auf den Hammerschlag schaffen», sagt sie mit Vorfreude in den Augen.
«Für mich ist das ein Spielzeug!»
Ob das nicht anstrengend sei, will Blick wissen. Die Ostschweizerin lacht und sagt: «Für mich ist das ein Spielzeug!» Ein bisschen ernster fügt sie an: «Man muss darauf schauen, dass man immer wieder die Arme und die Beine bewegt und streckt, damit man nicht versteift.» Auch die Augen sollen während der monotonen Fahrt immer mal wieder schweifen dürfen: «Man kann zum Beispiel Delfine oder den Horizont bestaunen. Sonst langweilt man sich wie verrückt!»
Kühne ist trotz ihres weit fortgeschrittenen Alters noch quietschfidel. Stolz zeigt sie Fotos auf ihrem Handy: Kühne in einem Propellerflugzeug, Kühne am Strand, Kühne im Gleitschirm. Die Frau lebt ihr Leben in vollsten Zügen.
Langes Leben mit tiefen Tiefen und hohe Höhen
Doch so schön war es nicht immer. Anastasia Kühne wird ernst, als sie von ihrer Jugend erzählt. Extreme Armut und Hunger prägten ihre frühen Jahre. «Ich musste bei den Nachbarn um Brot betteln», erzählt sie den Tränen nahe. Hinzu kam eine strenge und teils gewaltsame Erziehung.
Sie wurde 1938 in Kefalonia geboren, erlebte noch das Ende des Zweiten Weltkriegs. Schliesslich schaffte sie es, dem toxischen Elternhaus zu entfliehen – und fand ihr Glück in der Schweiz. «Man kann alles erreichen – sei das Velofahren, Joggen oder auch Spazieren. Man muss es nur immer wieder versuchen!»