Darum gehts
In Rapperswil SG steht Hanspeter Krüsi vor einer Horde Elefanten. Es ist Februar 2012. Zu diesem Zeitpunkt ist er als Mediensprecher bei der Kantonspolizei St. Gallen ziemlich neu. «Knies Kinderzoo wollte sie wägen lassen, hatte dafür aber keine Waagen. Wir schon», sagt Krüsi und lacht. Er macht ein Medienereignis daraus.
Seine Polizeischule bei der Kantonspolizei Zürich begann 1983 im Alter von 20 Jahren. «Ich war der Jüngste in meiner Klasse.» Nachdem er das Handwerk erlernt hatte, arbeitete er hauptsächlich bei der Autobahnpolizei in Urdorf ZH. «Die Polizei war mein Bubentraum.» Nun geht eine lange Karriere zu Ende. Im Oktober geht Krüsi in Frühpension. Mit Blick schaut er zurück auf skurrile Momente. Etwa, als sein eigener Name als Täteridentität kursierte. Oder als ein Bewohner einem Einbrecher half, sich selbst zu beklauen. Viele Episoden waren für Krüsi aber auch sehr belastend.
In den frühen 90er-Jahren bot sich Krüsi die Gelegenheit, im Appenzellerland ein Haus zu bauen. Er wechselte zur Ausserrhoder Kantonspolizei und leitete zwischen 1992 und 2009 erst den Polizeiposten Speicher AR und später die kantonale Notrufzentrale. Dann heuerte er im St. Galler Klosterhof bei der Kapo an und wurde Leiter Kommunikation – wo er bis heute ist.
Wie beim Job des Polizei-Sprechers üblich, blieb es nicht nur bei den eingangs erwähnten, herzigen Tierstorys. «Ich musste oft in die Abgründe der Menschlichkeit schauen», sagt Krüsi. Während seiner Zeit geschahen im Kanton abscheuliche Taten.
Krüsi wurde einmal als Täter gehandelt
Beispiele: Der «Schachtmord» von Untereggen 2011. Ein 53-jähriger Schweizer schlägt seine Frau mit einem Hammer bewusstlos, erdrosselt sie und versteckt ihre Leiche in einem Schacht neben dem Einfamilienhaus. Er muss 15 Jahre ins Gefängnis.
Oder in Salez SG, am 13. August 2016. In einem Zug der Südostbahn geht ein 27-jähriger Schweizer plötzlich mit brennbarer Flüssigkeit und einem Messer auf zwei Frauen los, bevor er sich selber lebensbedrohlich verletzt. Die beiden Frauen und der Täter sterben später. Der britische «Guardian» hat Fragen an Krüsi.
Als noch nicht klar war, was sich genau zugetragen hatte, drehten die wildesten Online-Gerüchte im roten Bereich. Denn plötzlich hiess der Täter Hanspeter Krüsi. Richtig gelesen. Ein französischer Journalist kopierte schludrig Krüsis Name und machte ihn damit – wohl unabsichtlich – auf Twitter zum Täter. Der Fall ist auch heute noch Thema bei Krüsis Vorträgen. Jetzt nimmt er es locker: «Ich fand es schmeichelhaft, dass man mich erst für 27 hielt.»
Grundsätzlich spricht er aber nicht über Fälle, die ihn belasteten. Aus Rücksicht auf die Opfer: «Damit reisse ich nur alte Wunden auf. Das möchte ich nicht.» Ohne Angabe von Datum oder Ortschaft öffnet sich Krüsi: «Das Erste, das ich einmal bei einem Tötungsdelikt in der Wohnung sah, war ein Laufgitter. Das hat mich belastet. Auch wenn ich heute ein Laufgitter sehe, kommt mir als Erstes das in den Sinn.»
Ein aktuelleres Beispiel sorgt für Gänsehaut: «Bei einem Verkehrsunfall mit Toten ist es normal, dass der Leichenwagen kommt. Wenn dann aber ein Kindersarg ausgeladen wird, geht das nah.» Man kann nur ahnen, was Krüsi sonst noch alles gesehen haben muss.
Mann hilft Dieb, die eigene Wohnung auszuräumen
Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg musste Krüsi nicht nur diese Szenen für sich behalten, sondern auch dann schweigen, wenn prominente Täter Delikte begingen. «Ich wusste meist vorher, wann ein bekanntes Gesicht aus Wirtschaft oder Politik festgenommen wird. Ich musste mich dann darauf vorbereiten, falls es publik wird.» Das sei sehr spannend gewesen. «Aber ich bin auch sehr enttäuscht von diesen Menschen.»
Manchmal sei es aber auch lustig zu und hergegangen: «Bei schwerem Regen meldete uns ein Mann, er habe auf einer Wiese eine grosse Anzahl Schafe gesichtet. Bis zum Hals im Wasser.» Die Polizei checkte. «Es waren nur Möwen.»
Oder: «Ein Mann kam nach Hause und traf im Treppenhaus einen Mann, der gerade einen Fernseher hinuntertrug.» Der Bewohner bot seine Hilfe an. «Als er danach in seine Wohnung kam, war sein Fernseher weg.» Er hatte gerade einem Einbrecher geholfen, sich selber zu bestehlen. «Das klingt lustig. Aber für den Bestohlenen, der einen Fremden in der Wohnung hatte, ist das alles andere als amüsant.»
Von der einen auf die andere Bühne
Die Kommunikation ist Krüsis Leben. «Die Kantonspolizei ist mein Kind», sagt er. Von 2022 bis 2024 wurde die Kapo vom Branchenmagazin «Schweizer Journalist:in» als beste Polizei-Kommunikationsstelle der Schweiz ausgezeichnet. 2023 war Krüsi zudem zweitbester Mediensprecher der Schweiz. Medien lieben ihn. «Ich verstehe mich als Dienstleister», sagt er zu seinem Erfolgsmodell. «Ohne Transparenz gibt es kein Vertrauen.»
Grosser Rummel um seine Person ist ihm aber nicht angenehm. Als Krüsi 2018 seinen berühmten Schnauz abrasierte, widmete ein Newsportal der fehlenden Gesichtsbehaarung einen ganzen Artikel. «Ich habe geschmunzelt, aber hätte es nicht gebraucht», sagt Krüsi. «Ich bin stolz auf die Kantonspolizei St. Gallen – nicht auf den Hanspeter Krüsi.»
Sein Team und seinen Job verlässt er mit einem guten Gefühl und wenig Pathos: «Die Arbeit ist gemacht und ich bin zufrieden. Die machen das alleine dann auch gut.» Einer seiner markigsten Sprüche im Hinblick auf gute Kommunikation: «Wer schneller die Wahrheit sagt, muss weniger lang leiden.»
In den Jahren nach seiner Karriere will Krüsi dem Rampenlicht treu bleiben. «Ich gehe wieder auf die Bühne.» Krüsi ist Kabarettist und konnte dieses Talent während seiner «ernsten Tage» nicht ausleben.
Der Abschluss im Berufsleben könnte gegenüber seinen Anfängen nicht gegensätzlicher sein: «Ich habe damals Konditor gelernt.» Ob Krüsis Ehefrau nach der Pensionierung bald jeden Tag eine Torte erwarte, will Blick wissen. «Nein, denn sie ist auch gelernte Konditorin!», sagt er lachend. Die beiden hätten in 35 Jahren Ehe den hiesigen Konditoreien «noch keine zehn Franken gegeben», sagt Krüsi und lacht.