Deby R.* (37) glaubt an das Gute im Menschen. Am Wochenende passierten ihr jedoch zwei schlimme Erlebnisse, die die Frohnatur an ihrer Grundeinstellung zweifeln lassen. Es ist Samstag. R. will in Bütschwil SG ihre Helden, die Spieler ihres Liebling-Fussballclubs St. Gallen, bei einem Fananlass hautnah erleben.
Gegen 17 Uhr fährt die Servicekraft mit dem E-Scooter ihres Nachbarn in Richtung Fussballplatz. Der Randstein des Trottoirs ist für das Elektro-Trottinett jedoch zu hoch. R. stürzt und schleudert mit voller Wucht auf die Strasse. «Es hat mich übel auf den Latz gehauen.» Die 37-Jährige zieht sich Prellungen zu und fällt auf ihren Ellenbogen, den sie erst vor kurzem operieren musste.
Niemand hilft
Nach dem Sturz liegt R. am Boden. Und weint. «Ich hätte Hilfe gebraucht», sagt sie. Ein Autofahrer, der direkt hinter ihr fährt, rollt im Schritttempo am Unfall vorbei. «Er hielt nicht an, um zu helfen – sondern schüttelte bloss den Kopf.» R. ist traurig: «Niemand gibt mehr auf seine Mitmenschen acht.»
Drei weitere Autos fahren an der Verunfallten vorbei. Niemand hält und bietet Hilfe an. Dann kann die Gossauerin doch noch aus eigener Kraft aufstehen. Und geht zum Fussballplatz. Dort behandeln sie die Samariter. Das Treffen mit ihren Lieblingen vom FC St. Gallen verpasst sie. Immerhin: Sie ergattert ein neues Chäppli des Vereins.
Schmerzen weg, Kleider auch
Der Unfall und das verpasste Treffen mit den Fussballern war nicht genug des Pechs für R. Gegen 23 Uhr tritt sie den Rückweg an. Sie ist schon fast zu Hause, als die Prellung plötzlich extrem stark schmerzt. Die St. Gallerin hält an und kühlt die Verletzungen in einem Brunnen.
Es ist stockdunkel. «Niemand war in der Nähe», sagt die Frau. R. zieht ihren Rock und die Kappe aus und legt die Kleider beiseite. Sie steigt in den Brunnen und geniesst die lindernde Abkühlung. Die Schmerzen sind weg. Aber: die Kleider auch! «Ich habe zwei schwarze Gestalten gesehen und wusste sofort, dass ich die Kleidung wohl nicht mehr sehen werde.»
«Es war zutiefst erniedrigend»
R. sagt: «Die zwei fanden das wohl lustig.» Die Ostschweizerin kann über die Aktion aber nicht lachen. «Ich war fast nackt und mir war kalt. Es war zutiefst erniedrigend.» Am Boden kauernd, ruft die 37-Jährige einen befreundeten Taxifahrer, der ihr zu Hilfe kommt.
Sie schwärmt: «Er war ein richtiger Gentleman.» Der Taxifahrer gab ihr seine Jacke und holte ein T-Shirt sowie Unterwäsche seiner Frau – alles unentgeltlich. Dann brachte er R. nach Hause. «Ich habe mich nicht getraut, beinahe ohne Kleider nach Hause zu laufen. Es war schlimm.»
«Fahre nie mehr mit dem E-Scooter»
Immerhin: Dank eines Aufrufs in den sozialen Medien taucht ihr Kleid wieder auf. Die FCSG-Kappe jedoch nicht. Ihr Fazit nach dem Vorfall: «Ich steige nicht mehr auf den Scooter. Das Teil ist lebensgefährlich!»
Mit ihrer Geschichte will sie andere Elektro-Trotti-Fahrer warnen: «Bei mir ist es noch halbwegs glimpflich ausgegangen. Aber was, wenn das einem Kind passiert?» Für die Gossauerin ist klar: Ohne Helm und Schoner lässt sie ihre Neffen nicht mal mehr auf dem Parkplatz fahren.
*Name bekannt