Es ist eine Geburt mit Folgen. Die Nachwehen bekommt das Thurgauer Kantonsspital in Frauenfeld TG auch über zehn Tage später noch zu spüren. Das Personal wird am Telefon beleidigt, es hagelt primitive E-Mails und Ein-Sterne-Bewertungen im Internet.
Auch Demo-Ankündigungen von Corona-Massnahmengegnern stehen im Raum. Vor dem Haupteingang zieht eine Spitalangestellte genervt an ihrer Zigarette. Sie sagt: «Ich habe die Nase gestrichen voll davon, dass diese Schwurbler unser Spital durch den Dreck ziehen!»
Personal soll Behandlung verweigert und Frau genötigt haben
Am 4. September bringt eine Frau im Frauenfelder Spital ihr Kind zur Welt. Es ist der einzige Teil dieser Geschichte, der unbestritten ist. Ein paar Tage danach treten Vilson, der Vater des Neugeborenen, und Reto K., Bruder der Mutter und frischgebackener Götti, im Youtube-Kanal von Massnahmenskeptiker Daniel Stricker (50) auf.
Die Vorwürfe sind happig: Der ungeimpften Frau sei über längere Zeit die Behandlung verweigert worden, weil sie keinen PCR-Test machen wollte. Um sie zum Einlenken zu bringen, habe man ihr während einer halben Stunde gar eine schmerzstillende Spritze vorenthalten. «Dann musste sie beim Gebären eine Maske anziehen, obwohl sie ein Attest hatte», sagt Reto K. Anschliessend habe das Kind – wohl stressbedingt – per Notkaiserschnitt zur Welt gebracht werden müssen, vermutet Vater Vilson.
Spital bezeichnet Vorwürfe als «frei erfunden»
Bloss: «Die Anschuldigungen sind frei erfunden und verzerren die Vorgänge. Und die Vorwürfe werden laufend grotesker», sagt Marc Kohler (64), CEO der Spital Thurgau AG, zu Blick. Die Frau sei genau gleich behandelt worden wie alle anderen Patienten auch. Sie habe bei der Geburt, die medizinisch normal verlaufen sei, auch keine Maske tragen müssen.
«Der Ablauf wurde allerdings von den beteiligten Angehörigen erheblich gestört, die Vorschriften massiv missachtet und die medizinische Arbeit behindert, sodass unsere Mitarbeitenden die Polizei rufen mussten, um diese Personen zu bändigen», sagt Kohler.
Polizei musste Angehörige aus dem Gebärsaal holen
Die Kantonspolizei Thurgau bestätigt auf Anfrage von Blick den Einsatz. Es sei die Meldung eingegangen, dass eine Person im Eingangsbereich des Spitals randaliere, so Mediensprecher Matthias Graf. Dorthin waren Reto K. und dessen Mutter geeilt, um der Gebärenden beizustehen. «Daraufhin kam es zu Diskussionen, und der Begleiter der Frau wurde gegenüber dem Personal verbal ausfällig», so Graf.
Anschliessend verschafft sich das Duo offenbar ohne Erlaubnis Zugang zum Spital und marschiert direkt in den Gebärsaal zur in den Wehen liegenden Frau, ehe die ausgerückten Einsatzkräfte die Situation beruhigen können. Seither stehen die massiven Anschuldigungen im Raum. Weil noch keine Strafanzeigen eingegangen sind, gibt es bislang keine offiziellen Ermittlungen.
Für Götti Reto K. sind Impfungen «Massenermordungen»
Was sich abgespielt hat, wird damit zur Glaubensfrage. Die Massnahmenskeptiker schenken Vater Vilson und Götti Reto K. ihr Vertrauen. Obwohl Letzterer in einem Telegram-Video angibt, kürzlich an den Protesten gegen den Impfbus in Diessenhofen TG teilgenommen zu haben, bei denen ein Mitarbeiter tätlich angegriffen wurde (Blick berichtete).
Die Impfungen bezeichnet K. in dem Blick vorliegenden Clip als «Massenermordungen», den Arzt, der vor Ort die Spritzen injizierte, als «Mörderarzt» und stellt diesen gar namentlich an den Pranger. Der Wahrheitsgehalt seiner Aussagen in Bezug auf die Geburt lässt sich angesichts der beiden gegensätzlichen Versionen ebenfalls nicht verifizieren.
Spital bleibt in der Schusslinie
In seiner Sendung präsentiert Daniel Stricker derweil seinem Publikum Screenshots eines E-Mails, das ein hoher Spitalangestellter nach der Empörungswelle geschrieben haben soll. Darin habe dieser medizinische Einzelheiten wie etwa das Aussetzen von Herztönen beim betroffenen Baby verraten, so Stricker. Und stellt damit eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht in den Raum.
«Das Mail wurde offensichtlich aus verschiedensten Dokumenten zusammengebastelt», entgegnet dagegen Spital-CEO Marc Kohler. Die entscheidende Passage könne man keinem Mitarbeiter zuweisen, sie sei zudem in einer anderen Schriftgrösse geschrieben als der Rest des Texts. Auch verwende der vermeintliche Absender keine offizielle Firmensignatur.
Stricker wehrt sich gegen Fake-Vorwürfe
Teile des von Stricker veröffentlichten Materials seien an SVP-Kantonsrat Hermann Lei (48) gegangen, so das Spital. Dieser habe sich über den vermeintlichen Skandal aufgeregt und dann eine Antwort erhalten, die nun verfälscht worden sei. Lei bestreitet dies gegenüber Blick und will seinerseits nichts an Stricker weitergeleitet haben.
Daniel Stricker selbst bleibt bei seiner Darstellung. «Es handelt sich um ein unverändertes Originaldokument. Den Vorwurf der Fälschung weise ich in aller Entschiedenheit zurück. Mir so etwas vorzuwerfen, empfinde ich als diffamierend und ist – für sich stehend – eine möglicherweise strafbare Handlung.»
Die Spital Thurgau AG gibt gegenüber Blick an, sich ihrerseits rechtliche Schritte gegen die Beteiligten wegen Rufschädigung vorzubehalten.
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