Begraben von Geröll, mitgerissen von den braunen Fluten: 38 Liegenschaften sind am Dienstag dem verheerenden Erdrutsch in Schwanden GL zum Opfer gefallen. Die Lage: Nach wie vor kritisch, heisst es von den Behörden – weitere Schlammlawinen seien zu erwarten.
Das bereitet vor allem Andrea Thut (56) grosse Sorgen. «Unser Haus ist überflutet», berichtet die Chauffeuse. «Unser Keller steht unter Wasser.» Weder das Ehepaar, noch der Sohn, der unterdessen das Haus gemietet hat, dürfen sich in die Nähe des Wohnhauses begeben: «Alle Nachbarhäuser sind bereits weggespült und vermutlich ist unser Haus beim nächsten Rutsch auch weg.»
«Das ist schon sehr traurig»
Thut verbinde viele Erinnerungen mit ihrem Eigenheim: «Wir besitzen dieses Haus seit 30 Jahren und haben unsere Kinder darin grossgezogen. Mein Sohn hat sich mit meinem Grosskind dort ein Leben aufgebaut.» Vermutlich verliere er nun alles: «Dass dieser grosse Rutsch so rasch kommt, damit haben wir nicht gerechnet. Deswegen hat er nichts aus dem Haus mitgenommen und durfte dann auch nicht noch einmal zurückkehren. Das ist schon sehr traurig.»
Bereits vor einer Woche hatte ein Erdrutsch mit 10'500 Kubikmetern Fels und Lockergestein bei Schwanden eine Strasse verschüttet. Durch die anhaltenden Regenfälle am Wochenende hatte sich die Lage weiter zugespitzt: Am Dienstag rutschte dann der Hang ab und richtete einen immensen Schaden an. Immerhin: Niemand wurde verletzt.
Gefahrengebiet ist Sperrzone!
Hanspeter Speich (52), Stabschef der Gemeinde, meint, die Lage sei nach wie vor kritisch: «Das Wasser läuft den Rutsch hinunter.» Es würden weitere Murgänge erwartet. Somit bestehe auch die Befürchtung, dass der Fluss Sernf durch das Geröll aufgestaut werden könnte. Dann seien auch Überschwemmungen möglich. Als Vorsichtsmassnahme würden mobile Hochwasserschutzdämme aufgebaut und auch der kleine Stausee Garichti werde entleert, damit dieser im Notfall mit Wasser aufgefüllt werden könne.
Lediglich Geologen und weitere Spezialisten seien befugt, ausgesuchte Gebiete zu betreten. Wann die Menschen in ihre Häuser zurückkehren könnten, sei aktuell nicht abzusehen – Speich warnt ausserdem mit Nachdruck: «Bitte überqueren Sie keine Absperrungen und begeben Sie sich nicht in die Gefahrenzonen! Wir wollen weiterhin verhindern, dass jemand zu Schaden kommt.»
Viele Schaulustige
Der immense Hangrutsch mit verheerenden Folgen zieht am Mittwoch auch viele Schaulustige an. Hans Brunner (75) beispielsweise ist in Schwanden aufgewachsen und ist nach der Unglücksmeldung für einen Augenschein vorbeigefahren. «Dass es so schlimm wird, hätte ich nie gedacht», sagt er zu Blick. Angesprochen auf die aktuelle Situation, reagiert er wenig optimistisch. «Es kann noch viel schlimmer werden», glaubt er. Er sei froh, dass er nicht mehr in Schwanden wohne. «Die Natur holt sich alles zurück, was sie will», resümiert er.
Martin Lochsinger (64) hat ebenfalls die Neugier dazu bewogen, in Schwanden vorbeizufahren. Den Hangrutsch bezeichnet der Glarner als «extrem». Er hat Mitleid mit den Evakuierten. «Das ist sicher nicht einfach», sagt er. «In so einem Ausmass habe ich das noch nicht erlebt», ergänzt er. Psychiater Jan S.* (56) bläst ins gleiche Horn: «Ich hätte nie erwartet, dass sich so ein grosser Rutsch löst.»
«Es ist extrem tragisch!»
Der Glarner Polizist Rolf Gubser (63) kennt einige der Betroffenen persönlich: «Ich habe vorhin eine Frau getroffen, deren Garten nun voller Schutt und Geröll ist. Sie war sichtlich schockiert und ziemlich aufgelöst.»
Gubser selbst ist ebenfalls entsetzt über den Schaden: «Ich kenne das Gebiet gut und war früher bestimmt zweimal pro Woche mit dem Hund dort unterwegs. Es ist extrem tragisch!»
An der gestrigen Medienkonferenz stellten die Behörden verschiedene Zukunfts-Szenarien vor und präsentierten das weitere Vorgehen. Dass der Erdrutsch nicht ein alltägliches Geschehnis ist, merkt man dem Gemeindepräsident Hans-Rudolf Forrer an. Als er am Nachmittag seine Mails checken wollte, habe ihn die Müdigkeit übermannt: «Ich bin auf dem Bürostuhl eingeschlafen.»
* Name bekannt