35 Passagiere schrammen am vergangenen Mittwoch in Laax GR nur haarscharf an einer Katastrophe vorbei: Überladen und viel zu tief fährt die Seilbahn in Richtung Crap Sogn Gion. Die Gondel touchiert zunächst Bäume entlang der Strecke, bis die unterhalb der Kabine befestigte Zusatzfracht in Form von Eventtechnik wuchtig gegen einen Hügel kracht (Blick berichtete).
Fahrgäste stürzen nach dem Aufprall zu Boden, schreien verzweifelt auf. Erst nach der Kollision mit dem Gelände stoppt der Gondelführer die Horror-Fahrt und bringt die Seilbahn zur Talstation zurück. Wie durch ein Wunder wird lediglich eine Frau leicht an einem Finger verletzt.
Manipulationsverdacht wird abgeklärt
«Es war viel Glück im Unglück», bilanziert Sascha Kunz, der zuständige Untersuchungsleiter bei der Schweizerischen Untersuchungsstelle (Sust) gegenüber Blick. «Im Vordergrund stehen die Handlungen des Personals – natürlich auch im Hinblick auf eine mögliche Manipulation», so Kunz.
Laut Sust ist in der Unglücksbahn ein sogenanntes Lastmesssystem installiert. Wird das Maximalgewicht um mehr als zehn Prozent überschritten, ist eine Fahrt im Regelbetrieb nicht möglich. Ausser wenn das Personal den Mechanismus deaktiviert. Damit werden unweigerlich Erinnerungen zum Seilbahnunfall am Monte Mottarone (I) wach.
Dort stürzten im letzten Mai 14 Menschen in den Tod. Als das Zugseil riss, hatten Bahnangestellte die für einen solchen Notfall vorgesehene Zwangsbremse deaktiviert. «Das Prinzip wäre ähnlich», sagt Sascha Kunz im Hinblick auf den Vorfall in Laax. «Sobald Sicherheitsmassnahmen überbrückt werden, wird es heikel.»
«Gesamtgewicht der Gondel lag im Toleranzbereich für Passagierbetrieb»
Die Weisse Arena Gruppe, die Betreiberin der Seilbahn, hält dagegen eine direkte Manipulation für abwegig. «Aufgrund der Tatsache, dass das Gesamtgewicht der Gondel im Toleranzbereich für den reinen Passagierbetrieb lag, gehen wir davon aus, dass die Sicherheitsmechanismen für Überlast nicht im Zentrum der Untersuchungen stehen», heisst es auf Anfrage von Blick. Warum die Gondel mit ihrer unterhalb der Gondel angehängten Last dennoch zu schwer war, lässt das Unternehmen offen.
Dazu kommen weitere Ungereimtheiten. Obwohl Markus Wolf (48), CEO der betroffenen Weissen Arena Gruppe, gegenüber Blick beteuerte, noch am gleichen Abend eine Unfallmeldung bei der Sust erstattet zu haben, ging dort – entgegen geltender Vorschriften – nichts ein! «Wir haben erst am nächsten Tag durch Medienanfragen davon erfahren», so Untersuchungsleiter Kunz.
Spurensicherung mit grossen Hindernissen
Zudem hätten die Verantwortlichen in Eigenregie entschieden, den Betrieb mit der Seilbahn wieder aufzunehmen und das verunfallte Frachtgut abzutransportieren. «Wir konnten darauf keinen Einfluss mehr nehmen», so Kunz. Die Spuren- und Informationssicherung durch die Sust sei dadurch erschwert worden. Kunz: «Es war nicht mehr ersichtlich, wie die Kabine genau hing. Und die Berechnungen zur transportierten Last werden dadurch aufwendiger für uns.» Immerhin lägen inzwischen aber die relevantesten Daten zur Unglücksfahrt vor.
Neben der Sust hat laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Graubünden auch die Kantonspolizei Ermittlungen aufgenommen. «Sobald ein Rapport vorliegt, wird entschieden, ob Strafverfahren eingeleitet werden», erklärt ein Sprecher gegenüber Blick.
Weisse Arena Gruppe bestreitet Vertuschungsvorwürfe
Das Vorgehen der Betreiber wirft Fragen auf. Wollten sie ein Bekanntwerden des Vorfalls etwa verhindern? Nach Blick-Informationen fand nämlich noch am Unglückstag ein Informationsanlass für die Fahrgäste unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
«Uns war sehr wichtig, uns mit den Betroffenen der besagten Fahrt persönlich auszutauschen, offene Fragen zu beantworten sowie ihre Anliegen entgegenzunehmen. Aus Respekt gegenüber den Betroffenen geschah dies in einem geschützten Rahmen», schreibt dazu die Medienstelle der Weissen Arena Gruppe.
«Überlegungen, irgendwelches Aufsehen zu vermeiden, gab es keine», heisst es weiter. Dass der Unfall entgegen den Vorschriften der Sust nicht gemeldet wurde, wird mit einer noch am Unfalltag erfolgten Meldung an das Bundesamt für Verkehr begründet, wo Unfälle aber vor allem aus statistischen Gründen erfasst werden. «Es wurde davon ausgegangen, dass darüber auch eine direkte Meldung an die Sust erfolgt», so die Bergbahn-Medienstelle.
Die schnelle Wiederaufnahme des Betriebs wird damit begründet, dass bei der Rückkehr ins Tal «wie erwartet» keine Schäden festgestellt wurden.