Die Bilder des Sommers 2022 werden wir wohl nie vergessen. Die Wasserstände von Schweizer Seen und Flüssen sanken auf einem historischen Tiefpunkt. Statt in tiefblauem Wasser strandeten Boote auf grünen Ufern – eine Katastrophe für das Grundwasser und die Fische. In den letzten 140 Jahren gab es zwischen Mai und Mitte August nie so wenig Niederschlag wie in diesen Sommer. Besonders betroffen von der Trockenheit sind das Tessin und die Westschweiz.
Immerhin zeigt sich der Herbst bereits: Die Temperaturen sinken, die Luft ist feuchter, abends gibt es Gewitter – die starken Hitzewellen und langen Trockenperioden der Sommermonate liegen scheinbar hinter uns. In der Nacht auf Donnerstag regnete es in Lugano TI beispielsweise so viel wie sonst im ganzen September. Doch das Problem ist noch nicht gelöst, denn der heisse Sommer hat Schäden angerichtet. «Der Regen fällt zwar, er landet aber nicht dort, wo er gebraucht wird», sagt Meteorologe Klaus Marquardt (48) zu Blick.
Denn an vielen Orten der Schweiz herrscht ein akutes Niederschlagsdefizit. Betrachtet man die Daten von Meteo News in den vergangenen 20 Tagen, stellt man fest, dass es eigentlich genug regnet. Aber: Die Böden sind so trocken, dass sie die Massen an Niederschlag nicht einfach aufnehmen und versickern lassen können. «150 Liter in 12 Stunden – das ist zu viel Regen. Besser wäre es, wenn es häufiger und länger statt stark regnen würde», erklärt Marquardt. «Die Massen, die jetzt fallen, kann der Boden gar nicht aufnehmen. Das Wasser fliesst dann in die Kanalisation ab oder fördert die Bodenerosion.»
Haben wir die Dürre nun doch nicht überstanden?
Trotz Regen bleibt ein Problem, das uns auch die kommenden Monate begleiten wird: das Niederschlagsdefizit. «Die Seepegel steigen zwar schon wieder, aber so schnell gelangen wir nicht zurück zur Norm», so Marquardt. «Um das Defizit auszugleichen und den Grundwasserspiegel zu normalisieren, müsste es immer wieder und über einen längeren Zeitraum regnen.»
Auch die schnelle Verdunstung aufgrund der hohen Temperaturen ist problematisch. Erst muss das Wasserdefizit in den Böden ausgeglichen werden, nur dann kann es ins Grundwasser versickern. Wenn es aber ständig heiss ist, verdunstet das Wasser zu schnell, als dass dieser Prozess in Gang gesetzt wird. Der Experte sieht das aber nicht so dramatisch: «Die akute Dürreperiode ist vorbei.» Denn so heiss wie im Juli ist es nicht mehr.
Die kommenden Monate sind entscheidend
«Ein goldener Herbst, in dem es wenig regnet, ist nicht so schlimm wie ein Sommer mit wenig Niederschlag. Denn auch an warmen Tagen gibt es Nebel und Tau. Feucht ist es im Herbst immer irgendwo», sagt Marquardt. Zu viel Regen wäre jetzt auch nicht gut. «Wir sollten nicht von einem Extrem ins andere taumeln.»
Ob sich der Wasserhaushalt normalisiert, hängt folglich vom Wetter in den kommenden Monaten ab. Doch wenn man die Sommer der vergangenen Jahre vergleicht, wird die Situation immer dramatischer. «Es gibt immer mehr extrem trockene Sommer (wie 2018 und aktuell 2022) sowie extrem regnerische Sommer mit Sturzfluten wie im vergangenen Jahr», resümiert Marquardt. Es bräuchte aber auch mal wieder normale Sommer ohne Extreme. «Die Grundwasserspeicher müssen sich wieder füllen, sonst haben wir langfristig ein echtes Problem. Wenn die Quellen in manchen Schweizer Ortschaften kein Wasser mehr haben, fehlt irgendwann das Trinkwasser.»