Wegen einer EU-Verordnung sind seit dem 4. Januar viele Inhaltsstoffe in Tattoo-Farben in der Europäischen Union nicht mehr erlaubt – oder werden mit Grenzwerten belegt. Abgekürzt heisst das Regelwerk «Tattoo-Reach». Und es schreibt vor, dass die Farben wegen gesundheitlicher Bedenken nur noch geringe Mengen an bestimmten Konservierungs- oder Bindemitteln enthalten dürfen. Die Grenzwerte wurden dabei so niedrig angesetzt, dass praktisch alle gängigen Farben davon betroffen sind. Sie dürfen darum nicht mehr verkauft oder zum Stechen benutzt werden.
Fabian Breitenmoser, Inhaber von On Point Tattoo in St. Gallen, vergleicht die immer strengeren Regulierungen mit der Zubereitung einer Bratwurst: «Zuerst darf man die Bratwurst nicht mehr über dem Feuer grillieren, weil es der Gesundheit schaden könnte. Später darf man sie auch nicht mehr auf dem Gasgrill zubereiten. Am Schluss dürfen wir die Wurst nur noch niedergaren.»
In der Schweiz gilt zwar das neue Verbot noch nicht. Aber bereits seit mehreren Jahren werden gesetzliche Anforderungen an Tätowier- und Permanent-Make-up-(PMU)-Farben auch hierzulande festgelegt. Breitenmoser: «In der Schweiz ist bereits heute schon vieles verboten. Ich glaube darum, dass die Schweiz kommendes Jahr nachziehen wird.»
«Schweiz prüft neue Regelung der EU»
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schreibt dazu auf Anfrage von Blick: «Die Schweiz prüft zurzeit diese neue Regelung der EU und passt im laufenden Revisionsverfahren gegebenenfalls die Verordnung entsprechend an. Die laufende Revision tritt voraussichtlich Mitte 2023 in Kraft. Entsprechende Übergangsfristen sind vorgesehen.»
Da die Schweiz ein kleiner Markt sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Regulierung in der EU sich auch auf Schweizer Tätowier- und Kosmetikstudios auswirken würden, heisst es beim BLV. «Gewisse Tätowier- und PMU-Farben könnten beispielsweise auch in der Schweiz nicht mehr erhältlich sein.»
«Es gibt keine EU-Normen, die früher oder später nicht auch in der Schweiz eingeführt werden», sagt Yolanda Alther vom Studio Face and Bodyline in Löhningen SH. Sie bleibt aber optimistisch. «Viele Hersteller arbeiten mit Hochdruck an neuen Pigmenten», sagt sie.
Auch beim Verband Schweizerischer Berufstätowierer (VST) ist man verhalten optimistisch. VST-Präsident José Pena sagt: «Wir sind in Kontakt mit dem BLV, um eine gute Lösung für die Schweiz zu finden. ‹Saubere› Farben sind von grosser Wichtigkeit und liegen im Interesse der Branche, ein Verbot ist jedoch unserer Meinung nach nicht der korrekte Ansatz.»
Kommen jetzt die Tattoo-Touristen?
Auch Milan Stanojevic vom Mista Tattoo Atelier in Schaffhausen gibt sich gelassen: «Wir haben keine Angst. Es wird neue Farben geben.» EU-konforme Produkte hätten die Produzenten bereits angekündigt. Einzig die Farbpalette könne zwischenzeitlich vielleicht kleiner werden, sagt Stanojevic.
Er glaubt aber nicht, dass ihm Tattoo-Touristen aus dem grenznahen Ausland zwischenzeitlich die Bude einrennen werden – vor allem wegen der Schweizer Preise. Anders sieht das Yolanda Alther. Sie sagt: «Ich denke, es wird kurzfristig einen Tattoo-Tourismus geben. Gerade von Leuten, die sich ein grossflächiges Sujet stechen lassen wollen. Die haben vielleicht bereits die Hälfte davon stechen lassen und wollen das nun mit den gleichen Farben in der Schweiz noch fertig stechen lassen.»
Ob nun auch stechwillige Kunden aus den Nachbarländern in die Schweiz kommen, kann auch der VST nicht einschätzen. Er erwartet aber eine erhöhte Aktivität von grenznahen Tattoo-Künstlerinnen und -Künstlern in der Schweiz. Präsident Pena: «Wir haben die erhöhte Aktivität bereits in den letzten zwei Jahren erfahren, als sich die Nachbarländer im Lockdown befanden und wir zum Glück nicht.»
Hier sei aber zu hoffen, dass sich die Tattoo-Künstlerinnen und -Künstler an gemeldete Studios wenden, um ihre Kunst anzubieten. Dies war leider in den letzten Jahren nicht immer den Fall – hier seien Airbnbs und Wohnungen als Arbeitsplätze gewählt worden, die weder den gesetzlichen Voraussetzungen noch den Richtlinien der guten Arbeitspraxis entsprochen hätten.