Schweizer Politik reagiert auf Cassis-Lawrow-Bild
3:12
Meinungen gehen auseinander:Schweizer Politik reagiert auf Cassis-Lawrow-Bild

Nachrichtendienst warnt
«Der Druck auf die Schweiz nimmt zu»

In drei Monaten sitzt die Schweiz im Uno-Sicherheitsrat. Doch die jüngsten Drohungen aus Moskau zeigen: Auch für neutrale Staaten wird es zunehmend ungemütlich.
Publiziert: 25.09.2022 um 00:52 Uhr
|
Aktualisiert: 25.09.2022 um 12:16 Uhr
1/5
Putin droht dem Westen mit einem Atomkrieg.
Foto: keystone-sda.ch
Simon Marti

Mehr als zehn Jahre hat sich die Schweiz darum bemüht, endlich mit am Tisch des Uno-Sicherheitsrates sitzen zu dürfen. Im kommenden Januar erfüllen sich die Ambitionen, aber in einem denkbar schwierigen Umfeld. Diese Woche lieferte einen ersten Vorgeschmack auf das, was da auf den Bundesrat und seine Diplomaten zukommt.

Am Mittwoch verkündete der russische Staatschef Wladimir Putin (69) die Mobilisierung Hunderttausender Reservisten und drohte dem Westen einmal mehr mit einem Atomkrieg.

Betrunkene russische Soldaten liefern sich Schlägereien
0:52
Probleme bei Mobilisierung:Betrunkene russische Soldaten liefern sich Schlägereien


Just am Tag der Brandrede traf Bundespräsident Ignazio Cassis (61) am Rande der Uno-Vollersammlung in New York auf den russischen Aussenminister Sergei Lawrow (72). Ein scheues Lächeln vor den Fotografen genügte, schon wurden in der Heimat Stimmen laut, Cassis habe sich von den Russen einlullen lassen. Auch hinter den Kulissen stellt der Krieg den Berner Apparat vor ungeahnte Herausforderungen. Fieberhaft arbeiten die Experten daran, Putins Drohungen zu analysieren und auf mögliche Folgen für die Schweiz abzuklopfen. Kurz nach Cassis’ Trip legte der Nachrichtendienst (NDB) eine Art Zwischenbilanz vor. SonntagsBlick konnte die vertraulichen Dokumente einsehen. Es zeigt sich: In den kommenden Monaten dürfte der Druck auf die neutrale Schweiz weiter steigen.

Jetzt mobilisiert Putin einen Teil der Bevölkerung
1:46
Verzweiflung macht sich breit:Jetzt mobilisiert Putin einen Teil der Bevölkerung

Einsatz von Nuklearwaffen sehr unwahrscheinlich

Der NDB geht mit anderen Beobachtern einig, dass die Russen die jüngsten Rückschläge an der Front kaum wettmachen können. Es sei demnach nicht sehr realistisch, dass die russische Armee in der Lage sei, «in den nächsten zwei Monaten entscheidende Offensivaktionen in der Ukraine durchzuführen». Vielmehr gehe es Putin darum, erlittene Verluste auszugleichen und nach innen Stärke zu demonstrieren.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Den Einsatz von russischen Nuklearwaffen schätzt der NDB als sehr unwahrscheinlich ein, trotz der jüngsten Drohung. Und doch rechnen die Beamten Szenarien durch: von einem Atomwaffentest über der Ostsee («unwahrscheinlich») bis hin zu einem Schlagabtausch mit der Nato («äusserst unwahrscheinlich»).

Einschneidender als die atomare Bedrohung wirkt sich die bereits laufende russische Teilmobilisierung aus. Diese stelle «eine weitere Eskalationsstufe» dar, schreibt der Nachrichtendienst. «Die Fortsetzung des Konflikts ist mit weitreichenden Konsequenzen in den Bereichen Diplomatie, Politik, Wirtschaft, Energie und Migration verbunden.» Das Sicherheitsumfeld der Schweiz stehe unter Druck, die Lage sei volatil, hält der NDB fest. «Der Druck auf die Schweiz nimmt trotz ihrer Neutralität und der Guten Dienste, die sie anbietet, weiter zu.»

Tatsächlich hatte Lawrow im Gespräch mit Cassis kritisiert, dass die Schweiz von ihrer bisherigen Neutralität abgewichen sei. Umgekehrt, so der NDB, könnten westliche Staaten ihre bisherige Zurückhaltung bei der Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ablegen. Eine Entwicklung, die den Handlungsspielraum des Bundesrates kaum vergrössern dürfte.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?