Vergangene Woche fand die Wissenschaftskonferenz «Tagung der Nobelpreisträger in Lindau» statt. Seit 1951 treten auf der deutschen Bodensee-Insel jährlich Grössen der Physik, Biologie und Chemie mit jungen Wissbegierigen in Austausch. Der Schweizer Nobelpreisträger Kurt Wüthrich (84) trat mit seiner Aussage eine Diskussion über Sexismus in der Wissenschaft los.
«Nach dem ersten Tag des Treffens ist klar, dass leider Wissenschaft nicht das Thema der Konferenz sein wird», erklärt Wüthrich. Das Thema seien Frauen in der Wissenschaft.
Wüthrich erwähnt ein Interview aus der «Schwäbischen» mit der Wissenschaftlerin Christiane Nüsslein–Volhard (80). Die Biologin kritisiert in dem Interview, dass Frauen sich «besser nicht» wie Männer verhalten sollten, denn «Männer dürfen streng sein, Frauen müssen eher freundlich und lieb sein, sonst kriegen sie Ärger.»
Nüsslein-Volhard ist keine Hardcore-Feministin. Sie glaubt, die Frauenquote sei einst sinnvoll gewesen, man solle jetzt aber «vorsichtig sein, sonst kommt es zur Männerdiskriminierung».
Wüthrich fühlt sich diskriminiert
Genau darin findet sich Wüthrich wieder. «Als männlicher Wissenschaftler verspüre ich das Gefühl der Diskriminierung, wenn ich hier bin», sagt er – obwohl er zusammen mit drei älteren Männern auf der Bühne sitzt.
Daraufhin meldet sich eine junge Wissenschaftlerin. «Als weibliche Forscherin ist es sehr unangenehm, einem Nobelpreisträger zuzuhören, der sich über ‹männliche Diskriminierung› aufregt», sagt sie. Die Situation eskaliert danach, weil der Moderator die Frau abklemmen will und diese sich wehrt.
Wissenschaft ist wenig divers
«Es gibt möglicherweise individuelle Diskriminierung gegen Männer, aber es ist nichts im Vergleich zur systematischen strukturellen Diskriminierung der Frauen begegnen», stellt die Forscherin klar. Besonders sei dies in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern der Fall. Darauf erntet sie Applaus.
Die Kluft zwischen männlichen und weiblichen Preisträgern ist tatsächlich riesig. Nur 60 Wissenschaftlerinnen haben einen Nobelpreis gewonnen, während 892 Männer den Preis absahnten. Auch heute noch werden Frauen nur selten als Mitautorinnen in Publikationen erwähnt, wie «Forschung und Lehre» Ende Juni schreibt.
Veranstalter prüfen Bruch von Verhaltenskodex
Gegenüber dem Wissenschaftsmagazin «Science» erklärt Wüthrich später, dass er sich nicht als Individuum benachteiligt gefühlt habe, sondern als Mann. Etwa, als die Wissenschaftlerinnen für ein Gruppenfoto gebeten wurden, nach vorne zu treten. «Ich würde mich schrecklich fühlen, auf diese Weise präsentiert zu werden», schimpft der Schweizer. «Es war lächerlich, völlig lächerlich.» Dadurch würde man Männer diskriminieren und Frauen glorifizieren.
Wüthrichs Aussagen hinterlassen nicht nur bei jungen Frauen einen bitteren Nachgeschmack. Die Organisatoren der Lindauer Wissenschaftskonferenz ermitteln derzeit, ob der Nobelpreisträger gegen den Verhaltenskodex der Versammlung verstossen hat. Denn «verbale Äusserungen und nonverbale Handlungen, die herabwürdigend sind oder gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen in Bezug auf das Geschlecht stärken» sind auf der Bühne verboten.
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