Femizide sollen ein Ende haben
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Demos in Rom:Femizide sollen ein Ende haben

Mord an 22-Jähriger erschüttert Italien
«Für Giulia verbrennen wir alles»

Seit Jahresbeginn wurden über 100 Italienerinnen getötet. Weltweit waren es letztes Jahr so viele Frauen, wie seit 20 Jahren nicht.
Publiziert: 26.11.2023 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2023 um 19:42 Uhr
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Der Mord an der 22-jährigen Studentin Giulia Cecchettin erschüttert ganz Italien.
Foto: DUKAS
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Sara BelgeriRedaktorin

Giulia Cecchettin stand kurz vor dem Abschluss ihres Ingenieurstudiums an der Universität Padua. Bald wäre ihre Diplomfeier angestanden, dann hätte sie aus ihrem Heimatdorf, der 10'000-Seelen-Gemeinde Vigonovo in der Region Venetien, wegziehen wollen. Doch am Abend des 11. Novembers wurde sie von ihrem Ex-Freund Filippo Turetta ermordet. Sie wurde 22 Jahre alt.

Der Fall bewegt Italien seit Wochen. Das ganze Land diskutiert – über Giulia Cecchettin, über Frauenrechte, über Femizide. Vielerorts kam es zu Gedenkveranstaltungen und Protesten, an denen Tausende Italienerinnen und Italiener teilnahmen.
Turetta und Cecchettin waren zunächst als vermisst gemeldet worden. Wenige Tage später fand der Zivilschutz die Leiche der Studentin in einer Schlucht in der Region Friaul-Julisch Venetien in Norditalien. Turetta war nach Deutschland geflohen, wo er von den Behörden jedoch aufgegriffen wurde und die Tat gestand.

Cecchettin ist bei weitem kein Einzelfall. Sie ist die 102. Frau in Italien, die seit Jahresbeginn getötet wurde. Zahlen zeigen: In Italien geschieht dies jeden dritten Tag. Seit Cecchettins Mord gab es vier weitere Femizide.

Meloni kündigt Kampagne zur Sensibilisierung an

Die Italienerinnen und Italiener sind auch deshalb so erschüttert, weil das Motiv der Tat ein altbekanntes ist. Cecchettin hatte sich vor einigen Monaten von Turetta getrennt, dieser soll das Ende der Beziehung nicht ertragen haben. Zahlen des Innenministeriums zeigen: In 87 Femizid-Fällen stammten die Täter aus dem unmittelbaren Umfeld des Opfers. Bei über der Hälfte davon handelte es sich um den Partner oder den Ex-Partner.

Cecchettins Mord löste auch in der Politik eine Debatte aus. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schrieb beim Kurznachrichtendienst X, dass sie von einer «unendlichen Traurigkeit» und «Wut» erfüllt sei. Bei der Zahl der getöteten Frauen handle es sich um eine «Spur der Gewalt gegen Frauen, die sich seit Jahren fortsetzt, mit noch dramatischeren Zahlen als in der Vergangenheit». Diese «Barbarei», wie Meloni es bezeichnet, will die Regierung nun bekämpfen.

Nach der Abgeordnetenkammer hat diese Woche auch der Senat einen Gesetzesentwurf einstimmig verabschiedet, der Frauen besser vor Gewalt schützen soll. Unter anderem sollen Fälle von häuslicher Gewalt schneller bearbeitet werden. Zudem kündigte Meloni eine öffentliche Sensibilisierungskampagne gegen Femizide an.

Keine Schweigeminute, sagt die Schwester

Nicht nur in Italien sind Frauen und Mädchen von Femiziden betroffen. Das zeigt ein Uno-Bericht, der in dieser Woche veröffentlicht wurde. Demnach wurden im letzten Jahr weltweit rund 89'000 Frauen und Mädchen absichtlich getötet. Das ist der höchste Stand seit 20 Jahren. 80 Prozent der Morde wurden an Männern und Jungen verübt.

Mädchen und Frauen sind laut dem Bericht jedoch deutlich häufiger von häuslicher Gewalt betroffen. So wurden rund 55 Prozent der Morde von Familienmitgliedern oder Partnern verübt.Das zeige, «dass der gefährlichste Ort für Frauen und Mädchen ihr Zuhause ist».

Zudem weisen die Verfasser der Studie darauf hin, dass die Dunkelziffer weit höher liegen dürfte, da in vier von zehn Fällen keine ausreichenden Informationen vorliegen würden, um geschlechterspezifische Motive für die Tat zu ermitteln.

In Italien hielten diese Woche viele Schulen eine Schweigeminute für Giulia Cecchettin ab. Deren Schwester Elena sagte gegenüber dem Fernsehsender Rete 4: «Legt keine Schweigeminute für Giulia ein, sondern verbrennt alles. Es braucht jetzt eine grundlegende Änderung der Kultur.» 

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