Darum gehts
Montags und dienstags ist im Landgasthof Roderis in Nunningen SO Ruhetag. Im neuen Nebengebäude ist für die Ankömmlinge, die aus aller Welt hierher reisen, kurze Zeit später für immer Ruhetag. Sie kommen, um zu sterben. Der Basler Verein Pegasos begleitet hier seit einem Jahr, seit Frühling 2024, Menschen in den Tod.
Die Fernsicht reicht weit, der Nunninger Dorfteil Roderis ist umgeben von Äckern und Wiesen, nur Vogelgezwitscher ist zu hören. 220 Freitodbegleitungen pro Jahr will der Verein Pegasos, der zuvor in Liestal BL in einem Sterbezimmer tätig war, hier am neuen Ort vornehmen. Rund 10'000 Franken kostet die Suizidbeihilfe.
Die Kunde vom Zuzug der Sterbehilfeorganisation hat vor einem Jahr in der Gemeinde mit knapp 2000 Einwohnern heftigen Widerstand ausgelöst. Über 400 Unterschriften sind für eine Petition gegen die Einrichtung zusammengekommen. Auf juristischem Weg versuchen Gegner zudem, die Freitodbegleitungen zu unterbinden. Sie bestreiten, dass diese hier baurechtlich zulässig sind.
«Eintracht» und «Frohsinn»
Der Dorfkern ist 2,5 Kilometer vom Landgasthof Roderis entfernt. Die Restaurantdichte im verlassen wirkenden Ort ist hoch. «Eintracht», «Frohsinn», «Kreuz» und «Rössli» heissen die Gasthäuser. Der Espresso in der Konditorei kostet 3.70 Franken. Einige wenige Konfetti haben es am Fasnachtsmontag von Basel mit dem öffentlichen Verkehr bis hierher geschafft. Die Freitodbegleitungen im nahen Weiler sind noch weiter weg als Basel für die Gäste; niemand will davon wissen und darüber sprechen.
Im nahen Gemeindehaus sind sie dagegen anhaltendes Thema. Die Abklärungen über die baurechtliche Zulässigkeit dauern an, Gemeindepräsident Philipp Muster (55, Mitte) sagt: «Das Verfahren läuft immer noch und könnte auch noch längere Zeit beanspruchen.» Deshalb könne er keine weitere Auskunft erteilen.
«Solide rechtliche Grundlage»
Hinter dem Verein Pegasos, der als Stiftung organisiert ist, steht Ruedi Habegger (71). Er hatte sich vor gut fünf Jahren von der Sterbehilfeorganisation Eternal Spirit seiner Schwester Erika Preisig (67) – der bekannten Basler Freitodaktivistin – gelöst und mit Pegasos einen eigenen Verein für Suizidbeihilfen gegründet. Ins Sterbezimmer nach Liestal reisten zu einem grossen Teil Sterbewillige aus dem Ausland – aus Australien, Grossbritannien, den USA oder auch Italien.
Habegger hatte zuletzt auch für Schlagzeilen gesorgt, indem er dem Australier Philip Nitschke helfen wollte, die Todeskapsel Sarco in die Schweiz zu bringen. Doch Habegger zog sich dann wegen juristischer Bedenken zurück und zerstritt sich mit dem Sarco-Promotor. Habegger bezichtigte Nitschke in der «NZZ», für die Vermittlung von Freitodbegleitungen «die hohle Hand zu machen».
MediaSlot: ImageContainer #image_2_67d2e4695f374Keine Angaben zu Finanzen
Zur Tätigkeit in Nunningen hält Pegasos fest: «Seit Frühling 2024 bieten wir dort unheilbar kranken Menschen oder solchen mit unerträglichen Leiden einen würdigen Rahmen für ihren letzten Weg.» Das Haus befinde sich in der Kernzone und erlaube somit stilles Gewerbe. Zum Widerstand aus der Nachbarschaft gegen die Freitodbegleitungen schreibt der Verein, er respektiere Vorbehalte gegenüber selbstbestimmtem Sterben.
Keine Angaben macht Pegasos zu Investitionen in Nunningen, zur Anzahl von Vereinsmitgliedern und Einnahmen sowie zur Herkunft der Sterbewilligen.
Dass Pegasos die Tätigkeit von Liestal nach Nunningen verlegt habe, liege daran, dass der frühere Standort nicht geeignet gewesen sei, während nun «eingebettet in eine wunderbare Natur, ausserhalb von dicht besiedeltem Gebiet mit Diskretion» Freitodbegleitungen durchgeführt werden könnten.
In der Schweiz schieden zuletzt jährlich rund 2000 Frauen und Männer mit Freitodbegleitung aus dem Leben. Von ihnen kamen etwa 15 Prozent aus dem Ausland. Die grösste und bekannteste nationale Organisation für Freitodbegleitungen ist Exit.
Eigene Solothurner Lösung
Suizidbeihilfen verursachen den Kantonen viel Aufwand und beträchtliche Ausgaben. Da es sich um ausserordentliche Todesfälle handelt, müssen sie untersucht werden. Für Polizei, Staatsanwaltschaften und Obduktionen entstehen Ausgaben. Der Kanton Solothurn hat errechnet, dass ihn eine Freitodbegleitung rund 3000 Franken kostet. Deshalb hat er nun mit dem Verein Pegasos eine Lösung erarbeitet, die das Ausrücken der Polizei erübrigt.
Pegasos dokumentiert jeden Freitod per Video und schickt dieses der Staatsanwaltschaft. Der Film zeigt, wie die Sterbewilligen selbst die tödliche Infusion mit dem Medikament Pentobarbital auslösen. Zudem fährt die Sterbehilfeorganisation die Leichen selbst in die Rechtsmedizin nach Basel und übernimmt freiwillig die Obduktionskosten.
Diese Lösung bewähre sich, sagt Andreas Kaufmann, Sprecher der Solothurner Staatskanzlei. Da das Modell aber erst seit Anfang Dezember 2024 umgesetzt werde und bisher nur in wenigen Fällen zur Anwendung gekommen sei, lasse sich noch kein abschliessendes Fazit ziehen.
Unterschiedliche Wahrnehmung
Vis-à-vis vom Sterbezentrum, in unmittelbarer Nachbarschaft, befindet sich der Landwirtschafsbetrieb der Institution Sonnhalde. Diese bietet Wohn- und Beschäftigungsplätze für Erwachsene, Jugendliche und Kinder mit Autismus. Dass nebenan Menschen in den Tod begleitet werden, beeinträchtige die Arbeit in der Sonnhalde nicht, sagt Leiterin Justine Heusser. «Die Wahrnehmung ist unterschiedlich. Einige der Bewohnerinnen und Bewohner nehmen das Thema bewusst wahr, andere gar nicht.»
Nicht für alle ist Nunningen das Ziel ihrer letzten Reise.
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
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