Es war eine mysteriöse Tat, die sich am 8. Februar 2020 in einem Quartier in Olten SO abgespielt hatte. Ein Mann wurde in einer Wohnung mit schweren Stichverletzungen aufgefunden. Seine Freundin wurde von einer Polizistin vom Tatort weggeführt, wie Blick-Leserreporter dokumentierten. Zuerst gab der Mann gegenüber der Polizei an, im Freien von zwei unbekannten Männern attackiert und verletzt worden zu sein.
Doch Blick-Recherchen zeigten: David K.* (36) hatte gelogen, wohl um seine Freundin Alara T.* (34) zu schützen. Allenfalls, damit sie bei einem allfälligen Strafverfahren nicht das Sorgerecht für ihren Sohn im Primarschulalter aus einer anderen Beziehung verlieren würde. Die Frau mit kenianischen Wurzeln lebte zum Tatzeitpunkt seit fünf Jahren in der Schweiz und erst seit ein paar Wochen in der Wohnung.
Hatte Alara T. Angst vor einer Trennung?
Rasch wurde im Umfeld des Paars über ein mögliches Motiv gerätselt: Wollte sich David K. von Alara T. trennen? Sicher ist: Sie wurde angeklagt. In erster Linie wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Dafür stand sie vergangenen Donnerstag in Olten vor Gericht.
Die Anklageschrift verrät, was sich damals in der Wohnung abgespielt haben soll: So kam es zwischen 16.30 und 16.45 Uhr «zu einer verbalen Auseinandersetzung» zwischen dem Paar und zu «ersten Schubsereien und Körperkontakt». Dabei wirft Alara T. eine von David K. bereits gepackte Tasche in den Keller. Als er sie wieder holen will, packt sie ihn und verpasst ihm Kopfstösse auf die Brust.
Sie versuchte ihn mit dem Trotti zu schlagen
Im Keller kommt es zu weiteren Streitigkeiten, wobei sich beide «gegenseitig» schlagen und an die Wand drücken. Jetzt versucht Alara T. ihren Freund mit einem Trottinett zu schlagen. Doch David K. kann es ihr aus der Hand reissen. Er versucht sich mehrfach von ihr loszureissen, was ihm zuerst nicht gelingt.
Schliesslich lassen beide voneinander ab, und Alara T. geht die Treppe hoch Richtung Küche. David K. packt seine Tasche und will das Haus verlassen. Als er im Eingangsbereich steht, kommt Alara T. mit zwei circa 17 Zentimeter langen Messern in den Händen aus der Küche und beginnt auf David K. «einzuschlagen und einzustechen», so die Anklage weiter. Dabei fügt sie ihm zuerst Schnittverletzungen an einem Bein zu, holt anschliessend aus und sticht ihm mit einem der Messer in den Bauch.
Verteidiger plädierte auf Freispruch
Damit nicht genug: Sie versetzt ihm auch noch mehrere Schnitt- und Stichverletzungen am rechten Ober- und Unterschenkel, am rechten Schulterblatt, im rechten Brust- und Bauchbereich, am rechten Oberarm sowie am linken Unterschenkel und an der linken Ohrmuschel. Da sich David K. während der Messerattacke durch Alara T. abdreht, wird er mehrheitlich auf der rechten Körperseite verletzt.
Für die Staatsanwältin war somit klar: «Gestützt auf diesen Sachverhalt wird der Beschuldigten vorgeworfen, sie habe – sollte man einen direkten Vorsatz verneinen – den Tod des Geschädigten zumindest in Kauf genommen.» Sie forderte beim Prozess eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monate für die Beschuldigte. Zudem eine vollzugsbegleitende Massnahme und einen zehnjährigen Landesverweis. Reto Gasser, der Verteidiger von Alara T., plädierte auf einen Freispruch.
Immer wieder Beziehungsprobleme
Am Dienstagnachmittag kommt Alara T. in einem gelben Mantel zur Urteilsverkündung ins Gebäude des Richteramts Olten-Gösgen. Von David K. keine Spur. Der Grund: Er hat zwar auf eine Zivilklage gegen seine damalige Freundin verzichtet, und die beiden hatten in der Zwischenzeit gar geheiratet, aber: Wie Blick erfährt, läuft inzwischen das Scheidungsverfahren. Es sollen wie bei der Tat und auch danach Beziehungsprobleme geherrscht haben.
Um 15 Uhr beginnt der Richter mit der Begründung. Er sagt, dass «der wesentliche Sachverhalt» in der Anklageschrift geschildert sei. Der Geschädigte habe die Wohnung mit der gepackten Tasche verlassen und zu seiner Mutter gehen wollen – und sie habe das «nicht gewollt». Ihre Aussagen seien «absolut unglaubhaft» gewesen. Man könne etwa «ausschliessen», dass sie beim entscheidenden Messerstich «die Augen geschlossen» gehabt habe, wie Alara T. aussagte.
Der Geschädigte war «glaubhaft»
Über den Geschädigten hingegen sagt der Richter, dass seine Aussagen «glaubhaft» gewesen seien. Es stelle sich die Frage: «Wollte sie ihn tödlich verletzen?» Dafür spreche, dass sie die geeigneten Tatwerkzeuge eingesetzt habe. Dagegen spreche jedoch das Verletzungsbild. Denn dann wären «viele Stiche in den Bauch zu erwarten». Zudem habe sie sich «unmittelbar» um ihn gekümmert. Der Richter sagt: «Sie wollte nicht, dass er schwer verletzt wird.» Und: «Sie zeigte sich ernsthaft reuig, ohne ein Geständnis.»
Das Gericht geht bei Alara T. deshalb von einer qualifizierten einfachen Körperverletzung aus und beim Stich in den Bauch von einer fahrlässigen Körperverletzung. Zudem habe sie die Tat «nicht geplant». Sie habe verhindern wollen, dass er mit der Tasche das Haus verlässt – «und vielleicht auch sie verlässt».
Kein Landesverweis für Alara T.
Urteil: ein Jahr Freiheitsstrafe bedingt, mit einer Probezeit von drei Jahren. Zudem wird bei Alara T. eine ambulante Massnahme angeordnet, obwohl sie bereits von sich aus in eine Therapie geht.
Ein früherer Strafbefehl vom 8. Juli 2019 mit einer bedingten Geldstrafe von 400 Franken wegen Drohung gegen Behörden und Beamte wird nicht widerrufen. Auch wenn die Attacken von Alara T. gegen David K. in der Probezeit von zwei Jahren passierten, sieht das Gericht einen anders gelagerten Fall. Von einem Landesverweis sieht es ab.
* Namen geändert