Auf einen Blick
- Senioren im Rollstuhl vom Ausflug ausgeschlossen
- Gemeinde will Mehrkosten vermeiden
- Behindertengerechter Car kostet 150 bis 250 Franken mehr
Jedes Jahr veranstaltet die Gemeinde Böttstein AG für fast alle Bewohner ab 70 Jahren einen Seniorenausflug. Fast – weil die Nachbarn Paul Meier (74) und Marie-Luise Körner (74) seit Jahren nicht mitgehen dürfen. Der Grund: Sie sitzen im Rollstuhl.
«Jedes Jahr schickt mir die Gemeinde eine Einladung», ärgert sich Paul Meier. Er hatte als kleiner Junge Kinderlähmung, kämpfte sich bis vor 10 Jahren an Krücken durchs Leben. «Doch die Organisatoren schreiben, man dürfe nur mitkommen, wenn man selbstständig in den Car einsteigen könne!»
Vermieter hat Cars mit Hebebühne im Angebot
Heisst: Wer die wenigen Treppenstufen in den Car nicht ohne Hilfe hochsteigen kann, muss zu Hause bleiben. Paul Meier kontaktiert das lokale Carunternehmen, das die Gemeinde üblicherweise engagiert: «Sie bestätigten mir, dass sie auch sechs behindertengerechte Cars mit Hebebühne vermieten.»
Mehrere Male habe er das Gespräch mit der Gemeinde gesucht. «Es betrifft ja nicht nur uns, auch die Senioren mit Rollator dürfen nicht mit», so Körner. Doch mit seinem Anliegen sei er auf taube Ohren gestossen.
Marie-Luise Körner stimmt das traurig: «Mein Mann fährt jeweils mit – und ich würde ihn eigentlich gerne begleiten.» Es ginge doch darum, die Senioren zusammenzubringen, ein Erlebnis zu ermöglichen. «Aber wir werden da einfach ausgegrenzt», sagt die 74-Jährige, die seit einem Velounfall im Rollstuhl sitzt.
Gemeinde will Verantwortung nicht tragen
Für den Seniorenausflug zuständig ist die Gemeinderätin Alexa Cester. «Ich verstehe die Enttäuschung. Aber die Verantwortung für einen solchen Ausflug ist ohnehin schon gross – wir können sie nicht auch noch für die Menschen im Rollstuhl tragen», sagt sie gegenüber Blick.
Vor einigen Jahren habe man den Entscheid getroffen, nur noch Senioren mitzunehmen, die selbstständig in den Car ein- und aussteigen könnten. «Damals hatten wir eine Frau im Rollstuhl dabei. Wir Gemeinderäte mussten sie gemeinsam mit dem Buschauffeur in den Car tragen», erzählt Cester. Man nehme jeweils zwei Fachpersonen von der Spitex mit. «Als es der Frau dann schlecht ging, waren die Spitex-Personen völlig absorbiert. Dabei sollten sie sich auch um die anderen kümmern können», so die Gemeinderätin.
Ausflug wäre teurer
Die Spitex habe ihr später mitgeteilt, zwei Mitarbeiter seien zu wenig, um den Mehraufwand durch Rollstuhlgänger zu stemmen.
Cester bestätigt, der Gemeinde sei bekannt, dass die lokale Carfirma auch Cars mit Hebebühne vermietet. Ein solcher würde aber mehr kosten, erklärt sie: «Wir haben nun mal einen Rahmen und ein Budget.»
Wie viel teurer es wäre, einen behindertengerechten Car zu organisieren, weiss die Gemeinderätin nicht. Blick fragt bei der Carfirma nach – und erhält einen ungefähren Vergleich: In einem Car mit Hebebühne können je nach Anzahl Rollstühle 35 bis 40 Personen mitfahren. Für den Vergleich wird angenommen, dass der Ausflug einen halben Tag und Hin- und Rückreise je eine Stunde dauern. «Je nach Fahrdistanz würde der behindertengerechte Car 150 bis 250 Franken mehr kosten als ein üblicher Car für dieselbe Anzahl Personen.»
«Menschen im Rollstuhl haben eigene Ausflüge»
Gemeinderätin Alexa Cester argumentiert weiter, die Mehrkosten für den Car seien nur ein Teil des Problems. Es sei nämlich auch schwierig, Restaurants zu finden, die genügend Platz für alle Teilnehmer hätten und rollstuhlgängig seien. Ausserdem bemerkt sie: «Für die Menschen im Rollstuhl gibt es doch eigene Ausflüge, wo genügend fachkundige Begleitpersonen dabei und die nötige Infrastruktur vorhanden ist.»
«Das sind alles Ausreden», findet Paul Meier. Der 74-Jährige ist Präsident von ProCap Schweiz, einer Organisation für Menschen mit Handicap. «Ich habe schon viele solche Ausflüge organisiert und noch immer ein Restaurant gefunden.»
Gemeinderätin fühlt sich auch diskriminiert
Der Wille, sie mitzunehmen, sei schlicht nicht da, findet auch Marie-Luise Körner (74). Für die beiden Rollstuhlgänger ist klar: «Weil wir ihnen zu teuer sind, lassen sie uns sitzen! Wir werden diskriminiert.»
Ein Vorwurf, den Gemeinderätin Alexa Cester entschieden zurückweist. «Ich finde es auch diskriminierend, so hingestellt zu werden», sagt sie. Die Gemeinde organisiere verschiedenste Anlässe, die allen zugänglich seien: eine Veranstaltung im Kulturhaus, den Neujahrsapéro, die 1. August-Feier.
Darum ginge es ihnen nicht, erklärt Paul Meier. Er verweist auf die Behindertenrechtskonvention, welche die Schweiz unterschrieben hat. Demnach haben Menschen mit einer Beeinträchtigung dasselbe Recht, an der Gesellschaft teilzuhaben. Meier: «Wir kämpfen auch für die, die keine Kraft mehr haben, sich zu wehren. Es kann doch nicht sein, dass wir 2024 immer noch ausgegrenzt werden.»