Dölf Keller (57) ist behindert, wie er sagt. Und er spricht ein Tabuthema an: den Sex-Wunsch von Menschen mit Behinderung. Er sagt klar: «Auch Behinderte haben ein Recht auf Liebe, Zärtlichkeit – und Sex!»
Damit werde das Kernproblem angesprochen, sagt Konrad Stokar (55), Geschäftsleiter Kommunikation und Interessenvertretung der Vereinigung Cerebral Schweiz: «Offensichtlich fragt sich die Gesellschaft immer noch, ob Menschen mit Behinderung ein Recht auf Sex haben. Folglich muss man sich nicht wundern, wenn die Betroffenen dann Mühe haben, ihre Bedürfnisse selbstbestimmt auszuleben.» Die Sexualität sei ein höchstpersönliches Recht eines jeden Menschen – «und das gilt natürlich auch für Menschen mit Behinderung».
Sexuelle Wünsche werden Behinderten abgesprochen
Stokar, der eine Cerebral-Parese, eine Bewegungsstörung, hat, weiss, dass es für Menschen mit Behinderung bereits eine Herausforderung sei, als sexuelle Wesen wahrgenommen zu werden. «Es kommt immer wieder vor, dass man ihre sexuellen Wünsche und Bedürfnisse tabuisiert oder sie ihnen gar abspricht.»
Das Thema Sex und Menschen mit Behinderung habe eine extreme Bandbreite, wie man darüber diskutiere, so Stokar. «Die einen wollen überhaupt nicht darüber reden, die anderen bohren derart nach, dass die Intimsphäre des behinderten Menschen verletzt wird.»
«Ganz normale Menschen und attraktive Partner»
Sylvia Milewski (57), Sexualtherapeutin aus Zürich mit Spezialgebiet Menschen mit Behinderung, fügt hinzu, dass ein Mensch mit Behinderung Berührungsängste bei einem Nicht-Behinderten auslösen würde. «Der Kontakt wird gemieden.» Aber je selbstbewusster Menschen mit Behinderung sich in der Gesellschaft bewegen könnten, desto mehr werde sichtbar, dass sie «ganz normale Menschen sind und attraktive Partner».
Und sie sagt auch, dass es logisch sei, dass es mit zunehmendem Alter schwieriger werde, wenn man bis anhin keine sexuelle Erfahrung gemacht habe. «Aber es ist nie zu spät dafür! Da verhält es sich für Menschen mit Behinderung gleich wie für jene ohne.» Aber klar sei: «Wenn man ein Leben lang keine sexuellen Erfahrungen gemacht hat, sind gewisse Ängste da.»